VG Berlin: Schule muss muslimischem Schüler Gebet in der Schule ermöglichen

12. März 2008 | Von | Kategorie: Recht | 12 Kommentare |

Das Verwaltungsgericht Berlin (Az.: VG 3 A 983.07) hat einem entsprechenden Antrag eines 14-jährigen muslimischen Schülers, außerhalb der Unterrichtszeit einmal täglich in der Schule sein islamisches Gebet zu verrichten, mit Beschluss vom 10. März 2008 im vorläufigen Rechtsschutzverfahren stattgegeben. Das Gymnasium in Berlin-Wedding muss nun dem muslimischen Schüler das islamische Gebet vorläufig ermöglichen.

Der 14-jährige Antragsteller besucht seit dem Schuljahr 2007/2008 das Diesterweg-Gymnasium. Er ist muslimischen Glaubens, sieht sich nach seinem Glaubensbekenntnis verpflichtet, fünfmal täglich zu festgelegten Zeiten das islamische Gebet zu verrichten und praktiziert dies nach seinem Vortrag auch so.

Nachdem der Antragsteller am 1. November 2007 zusammen mit sieben weiteren Schülern – nach eigenen Angaben etwa 10 Minuten lang – während einer Unterrichtspause in der Ecke eines Flures des Schulgebäudes betete und hierbei von anderen Schülern beobachtet wurde, wandte sich die Schulleitung mit Schreiben vom 2. November 2007 an dessen Eltern und wies unter anderem darauf hin, dass an öffentlichen Schulen in Deutschland religiöse Bekundungen nicht erlaubt seien. Die Schule habe vielmehr dafür Sorge zu tragen, dass das Neutralitätsgebot des Staates in dessen Einrichtungen Durchsetzung finde. Religiöse Bekundungen gehörten daher in den privaten Raum.

Die 3. Kammer des Gerichts folgte dieser Argumentation nicht. Der Antragsteller könne sich auf seine Religionsfreiheit nach Art. 4 des Grundgesetzes berufen. Dieses Grundrecht erstrecke sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden. Hierzu gehöre – zumal die Gebetspflicht zu den fünf Säulen des Islam zähle – insbesondere auch das Beten.

Der Antragsteller trägt glaubhaft vor, dass die Gebetspflicht, die bekanntermaßen zu den „fünf Säulen des Islam“ gehört (vgl. Enzyklopädie Wikipedia, Portal Islam; zum muslimischen Gebet auch: ,,Das Gebet in Bibel und Koran – ein Vergleich“ von Dr. Christine Schirrmacher, und die Beachtung der vorgeschriebenen Gebetszeiten nach seiner Glaubensüberzeugung für ihn einen hohen Stellenwert habe.

Demgegenüber habe die Schule konkrete und nicht hinnehmbare Beeinträchtigungen des Bildungs- und Erziehungsauftrags und des Schulbetriebes nicht dargelegt. Insbesondere würden Mitschüler oder Angehörige des Lehrpersonals der Verrichtung des Gebets durch den Antragsteller nicht unentziehbar ausgesetzt. Schließlich könne die Schule dem Schüler durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen ein ungestörtes Beten in einem für andere nicht ohne weiteres zugänglichen Bereich des Schulgeländes ermöglichen und so der von ihr gesehenen Gefahr einer demonstrativen bzw. werbenden Präsentation des Gebets begegnen. Im Übrigen erfordere das friedliche Zusammenleben in einer bekenntnisfreien Schule, dass die Schüler lernten, die religiöse Überzeugung anderer zu tolerieren und zu respektieren. Es sei nicht Aufgabe heutiger Schulen, Kindern den Eindruck einer „geschlossenen Welt“ zu vermitteln, die es in Wirklichkeit nicht mehr gäbe.

Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist ohnehin nicht als eine distanzierende, weltanschaulich-religiöse Bezüge strikt abweisende, sondern als eine offene und übergreifende Neutralität zu verstehen … Diese Form der offenen, übergreifenden Neutralität liegt im Übrigen auch den im Berliner Schulgesetz festgelegten Bildungs- und Erziehungszielen zugrunde, wonach Schüler unter anderem befähigt werden sollen, ,,die eigene Kultur sowie andere Kulturen kennen zu lernen und zu verstehen, Menschen anderer Herkunft, Religion und Weltanschauung vorurteilsfrei zu begegnen, zum friedlichen Zusammenleben der Kulturen durch die Entwicklung von interkultureller Kompetenz beizutragen und für […] die Würde aller Menschen einzutreten“ (§ 3 Abs. 3 Nr. 3 SchulG).

Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg möglich. Eine auf das gleiche Ziel gerichtete Klage ist vor dem Verwaltungsgericht noch anhängig.

Spiegel Online berichtet über diesen Beschluss ebenso und bedient sich dabei einer Agenturmeldung. Dieser Meldung fügt Spiegel Online aber noch folgendes hinzu:

Fünfmal am Tag wollte ein muslimischer Schüler in der Schule beten.

Too Much Cookies Network stellt dagegen klar, dass das selbst im “schlimmsten” Fall nicht sein dürfte, da höchstens zwei bis drei der täglichen Gebetszeiten in die Schulzeit fallen. Woher Spiegel Online diese Information hat, bleibt offen. Dem Beschluss des Gerichts ist es jedenfalls nicht zu entnehmen. Vielleicht lag dem ganzen ja auch nur das Bedürfnis zu Grunde, beim Leser „Verwunderung“ hervorzurufen.

12 Kommentare
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  3. Da ich der Meinung bin, dass die Religion aus dem staatlichen Bereich (dazu gehört auch die Schule) außerhalb des Religionunterrichts herausgehalten werden sollte, bin ich gegen die Gestattung religiöser Bekundungen egal welcher Art in Schulen. Das ist aber nur meine persönliche Meinung. Rein rechtlich kann man m.E. nichts dagegen sagen, solange die negative Religionsfreiheit anderer gewahrt bleibt, was man hier wohl gewährleisten kann. Das die Grundrechte in Schulen gelten, ist heute aber nicht mehr bestritten.

  4. Dass eine Schulleitung überhaupt auf die Idee kommen kann, einem Schüler das Beten in der Unterrichtspause zu untersagen, spricht nicht gerade für eine gute Ausbildung derjenigen Lehrer, die eine solche unsinnige Forderung an die Eltern richten. Die Neutralitätspflicht des Staates in den Schulen kann schließlich den Eingriff in die Religionsfreiheit des Schülers nicht rechtfertigen. Bleibt nur noch hinzuzufügen, dass ein derartiges Verbot gegen einen katholischen Schüler vermutlich niemals ausgesprochen worden wäre.

  5. Rechtlich eindeutig ist der Fall sicher nicht, denn die positive Glaubensfreiheit steht ja in Konflikt mit der Neutralitätspflicht, der negativen Glaubensfreiheit der anderen Schüler und der staatlichen Pflicht, ein funktionsfähiges Schulwesen zu unterhalten. Das sagt auch das Gericht nach dem o.g. Beschluss, zu dem es sodann aufgrund einer (summarischen) Abwägung der Fallumstände gelangt. Ob diese Abwägung überzeugend ist, mag dahinstehen; das OVG könnte dies anders sehen.

    Und dass ein solches „Verbot“ gegen katholische Schüler kaum denkbar ist, liegt wohl eher an den faktischen Unterschieden der Gebetsformen, des Religionen und der jeweiligen Verhältnisse zum staatlichen Schulwesen, nicht dagegen an rechtlich unterschiedlichen, schiefen Maßstäben.

  6. Negative Glaubensfreiheit bedeutet doch nur, das niemandem eine Religion aufgezwungen werden darf, nicht aber, dass jemand von dem Anblick Religionsausübender verschont bleiben muss. Die Funktionsfähigkeit einer Schule dürfte durch eine Religionsbetätigung während der Unterrichtspausen kaum beeinträchtigt werden. Ob das eine Einschränkung der Religionsfreiheit rechtfertigen würde, ist im Hinblick darauf, dass die Religionsfreiheit keinen gesetzlichen Schranken unterliegt, zweifelhaft. Wenn das OVG Berlin-Brandenburg das anders sehen sollte, dürfte eine solche Entscheidung wohl einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht kaum standhalten.

  7. Die negative Glaubensfreiheit ist das Recht, sich in freier Selbstbestimmung nicht zu einem Glauben zu bekennen, sich nicht an kirchlichen oder religiösen Praktiken zu beteiligen und sich von Glaubenssymbolen zu distanzieren. Dazu gehört auch die Freiheit vor vom Staat geschaffenen Zwangslagen, in denen der Bürger ohne Ausweichmöglichkeiten einer zwanghaften psychischen Beeinflussung durch religiöse Handlungen oder Symbole ausgesetzt ist.

    Hier liegt der Unterschied aber darin, dass der Schüler in einem Raum beten soll, in die niemand rein muss, wenn er nicht möchte und somit auch keinem psychischen Zwang ausgesetzt ist.

  8. Gott behüte, dass junge Gymnasiasten es angesichts eines betenden Jungen dochmal dazu bringen über ihre eigenes Leben nachzudenken ….. Wir haben es doch lieber, wenn sich die jungen Leute besaufen und in froher Gemeinschaftlichkeit kiffen richtig ? Masha Allah – dazu fällt mir nicht mehr viel ein o.O …. Ich bin selbst konvertiert und bete auf der Arbeit – hab meinen christlichen Kollegen gefragt ob es ihm was ausmacht. Der schüttelte grinsend den Kopf und hatte im Anschluss an mein Gebet gleich einen Haufen Fragen die ich ihm erfreut über sein Interesse beantwortete. Aber ich denke zuviel Glauben an Gott ist in unserer heutigen, materiellen Ellenbogengesellschaft nicht erwünscht, denn was ist schlimmer als Nächstenliebe und Gottesfurcht ?

  9. @ Franzisca

    Aus diesem Blickwinkel wird heute leider nur noch selten betrachtet. Sie haben aber vollkommen Recht. Ein Jugendlicher der betet – egal wo und in welcher Art und Weise auch immer – ist mir ebenfalls lieber als einer, der nichts anderes im Kopf hat als Drugs, Sex & Rock’n’Roll.

  10. Nun wird das ganze zu einem Nachdenkfall über Demokratie und Rechtsstaat: der Berliner Senator hatte angekündigt, gegen den Beschluss im einstweiligen Verfahren kein Rechtsmittel einzulegen. Damit wurde dieser rechtskräftig. Somit besteht, bis zur Entscheidung über die Hauptsache, für den Schüler das Recht, in der Pause zu beten. Die Schule hat die Wahl, ihm dafür einen geeigneten Platz nachzuweisen, wenn sie verhindern will, dass die anderen Schüler ihn dabei sehen (schließe mich da Franziskas Ausführungen an!).
    Was passiert? Der Direktor der Schule weigert sich, dem Gerichtsbeschluss Folge zu leisten – http://www.tagesspiegel.de/berlin/Gebetsraeume;art270,2501496
    Er ist Beamter. Er ist Pädagoge. Was lehrt er die Schüler? Urteile erkennt man nur an, wenn sie einem in den Kram passen? Das Verhalten, das erst den Schüler zwang, ein Gericht zu bemühen, fand ich schon schlimm. Nun aber wird es übel.
    Aber es gibt ja große Vorbilder, so ein Innenminister, der ihm nicht genehme Urteile zugunsten von Muslimen als „merkwürdig“ bezeichnet…

  11. @ Anne

    So ist es mit Urteilen. Der Bürger bekommt die Sanktion der Nichtbefolgung meist zeitnah und unmittelbar zu spüren.
    Was aber, wenn der Staat sich nicht an Urteile hält? Welche Sanktion gibt es da, wer bekommt ihn zu spüren und vor allem wann?

  12. Im vorliegenden Falle wäre es wohl korrekt, wenn der Dienstherr – wohl der Schulsenator – den Direktor unter Androhung disziplinarischer Maßnahmen zur Befolgung des rechtskräftigen Beschlusses anweisen würde – ich bin mal gespannt, ab Montag ist in Berlin wieder Schule.
    Generell: wie ich aus dem Internet erfahre, gibt es bereits Fälle, wo Sozialgerichte einstweilige Anordnungen zur Zahlung gegen die ARGE erlassen, und die mangels Zahlung dann durch den Leistungsbezieher vollstreckt werden müssen. Schier unglaublich.

 

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