Einbürgerungsinitiative der SVP in der Schweiz und Statistiken zu Deutschland

3. Juni 2008 | Von | Kategorie: Gesellschaft, Leitartikel | 3 Kommentare |

Wo liegt die Schweiz? Das Land, dessen größte Partei die rechtspopulistiche Schweizerische Volkspartei SVP mit Christoph Blocher an der Spitze ist. Das Land, in der am 1. Juni 2008 ernsthaft ein Volksentscheid darüber durchgeführt wurde (64 % stimmten dagegen), ob eine Gemeindekommission, eine Gemeindeversammlung oder gar die Bevölkerung über Einbürgerungen entscheiden soll. Im Grunde Demokratie in Bilderbuchform: Alle Macht geht vom Volke aus.

In Wahrheit zeigt sich ein ganz anderes Bild: Die Demokratie liegt hoch auf den Spitzen der Alpen und ist nur mit einem erweiterten Horizont sichtbar, was knapp 36 % der Schweizer nicht zu haben scheinen, obwohl das Bundesgericht bereits 2003 diese Art der Entscheidung für verfassungswidrig erklärt hatte. Die Bürger der Luzerner Gemeinde Emmen meinten nämlich die Einbürgerungsgesuche von Antragstellern aus Ex-Jugoslawien grundsätzlich ablehnen zu müssen.

Die Aargauer Gemeinden Birr und Buchs beispielsweise stellten bei der Ablehnung zweier Anträge auf Einbürgerung beispielsweise einzig auf das Tragen des Kopftuches als religiöses Symbol ab. Auch hier schritt die höchste juristische Instanz in der Schweiz ein und erklärte die Entscheidung noch im Februar 2008 für gegenstandslos.

Dessen unbeirrt warb die SVP „für demokratische Einbürgerungen“ mit Plakaten wie „Massen-Einbürgerung Stop“. Die Schweiz habe mit Masseneinbürgerungen insbesondere von Ausländern aus dem Balkan und der Türkei zu kämpfen. „Ein großer Teil davon sind Moslems, stammen also aus uns fremden Kulturkreisen“, heißt es in der Propagandaschrift der Partei. Damit schürt die SVP erneut die Angst vor der „Überfremdung“.

Mehr noch: Nach dem Willen der SVP sollen die privaten Angaben der Einbürgerungswilligen – Lohnangaben, Angaben zu den Bankkonten, Familienverhältnissen und der Freizeitgestaltung – allen Stimmberechtigten in der Gemeinde zugestellt werden, damit sich diese ein umfassendes Bild des künftigen Schweizers machen können.

Unvorstellbar!? Die Schweiz, ein Land zu dessen Nachbarländern Italien, Österreich, Frankreich und Deutschland zählen – mitten in Europa. Zwangsläufig drängt sich einem die Frage auf, ob sowas auch in Deutschland möglich wäre. Ausländerfeindliche Wahlkämpfe und verfassungsrechtlich höchst umstrittene Gesetze bis hin zu Gesinnungstests zu Lasten von Ausländern sind noch in bester Erinnerung. Hinzu kommen, beflügelt durch hiesige Medienberichte, immer häufiger anzutreffende Ressentiments gegen Ausländer.

Anhand einiger – nicht unbedingt repräsentativer – Umfragen soll die Stimmungslage in Deutschland einmal dargelegt werden. In Bezug auf Einbürgerung beispielsweise ergibt sich folgendes Bild:

Die freiheitlich demokratische Grundordnung gerät stark ins Schwanken, wenn es um die Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft geht. Nicht der freiheitliche-Individuum, sondern der an das deutsche Lebensstil angepasste soll mehrheitlich deutscher werden, wenn er finanziell unabhängig ist.

Da sich der Lebensstil auch innerhalb der Mehrheitsgesellschaft stark unterscheidet – man denke dabei nur an einen Kirchengänger aus Niederbayern und an einen Homosexuellen aus Hamburg – dürften einheitliche Standards kaum möglich sein und die Einbürgerung zum geographischen Glücksspiel werden. Wieso man in einem freiheitlich demokratischen Staat dennoch so großen Wert auf Einheitlichkeit legt, bleibt mir ein Rätsel. Anscheinend sind wir in Deutschland nicht so freiheitlich, wie wir es von Einbürgerungswilligen selbstverständlich erwarten:

Türken hätten – mal angenommen, in Deutschland würden Schweizer SVP-Wunschverhältnisse herrschen – wohl kaum eine Chance auf Einbürgerung:

In diesem Sinne soll denn auch die JurBlog-Umfrage folgender Frage auf den Grund gehen:

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Ich bitte um Begründung Ihrer Auswahl. Danke!

3 Kommentare
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  1. Schon neun Stimmen vor mir und noch keine Begründung?
    Es ist ein Widerspruch. Es gibt keinen verpflichtenden Lebensstil. In den letzten vierzig Jahren haben sich noch mehr verschiedene Lebensstile und -formen in Deutschland entwickelt, als vorher aufgrund der regionalen Verschiedenheiten ohnehin schon existierten. Es gibt aber keinen Kanon von akzeptablen Lebensstilen, von denen der Einwandernde sich zwingend einen aussuchen müsste, um hier irgendwann eingebürgert werden zu können. Das wollte das Grundgesetz gerade verhindern.

    Was von den Muslimen verlangt wird, ist, dass sie über die Zustimmung zum GG, zur FDGO hinaus sich in Dingen anpassen, die gegen kein Gesetz verstoßen, ja teilweise – zum Ärger ihrer Gegner – auch noch unter dem Schutz des GG stehen. Das aber ist eigentlich verfassungsfeindlich. Es ist diskrimnierend. Und ganz bestimmt nicht freiheitlich.

  2. @ Anne
    Ich sehe das genau wie Sie , jedoch ist es ein Ärgnernis das solche sache nicht tagtäglich in den Medien auftauchen sondern eher irgendwelche Kriminellen Ausländer.
    Man kann zwar die Kriminelle Gesinung einiger Menschen nicht von der Handweisen , jedoch ist diese Art von Politik nicht weniger Asozial.
    Da ist mir ein Handtaschendieb lieber als solche Politiker.

  3. Sehr geehrte Damen und Herren,

    ich bin nur teilwiese in Deutschland aufgewachsen, was hier wohl zu betonen ist, um meine Stellungnahme zu verdeutlichen. Ich wurde in Polen gegohren und kam als Kind zum Ende des Kalten Krieges in die BRD. Man sagt uns, „wir hätten uns schnell integriert“, was ich auch zugeben muß: da meine Eltern wohl schnell begriffen haben, wie wichtig den Deutschen die politisch korrekte haltung ist, so daß sie nach dem abgelehnten Asyl (geschweige Einbürgerung) den deutschen Staat mit respekt seinen Beschlüssen gegenüber verlassen haben. Und ich? Ich verlohr die Heimat meiner Kindheit: Niedersachsen. (Wie gut, daß mich wenigstens die deutschen Nachkriegs-Vertriebeben noch verstehen können, wie es mir zu mute war; jedenfalls sagen sie es, wenn ich mal welche von ihnen treffe). Ich habe im Augenblick keinen rechtlichen Anspruch auf Deutschland. (EU-Bürger sein nützt nicht sehr viel: bekanntlich darf der illegale Einwanderer in den USA mehr, als die EU-Europäer im Schengen-Gebiet…). Doch ich sehe mit Stolz und fast kindischer Freude meine Niedersachsenfahne in meiner Wohnung hängen – dort bleibt sie auch, ganz gleich zu welcher Farbe sich die Regierungen in Berlin bekennen, ob rot-schwarz, rot-grün, schwarz-weis, blau-blau, oder auch alle Regenbogenfarben zusammen. Ich liebe Deutschland, ich habe in Polen Deutsche Geschichte studiert, promoviere jetzt darüber, Deutsch kann ich auch ein bißchen noch…
    Wenn Sie mir nach dieser Rechtfertigung nun doch wenigsten für einen Augenblick eine Deutsche Identität gönnen, so würde ich gerne mal als „deutscher” Kulturforscher etwas zum Thema beitragen.
    Wohl hat man gegenwärtig ein Problem mit der Deutsch-Definition, eher aber mit Identität (glaube ich).
    „Homosexueller aus Hamburg” wurde angesprochen. Meinten Sie vielleicht den nackten Mann mit rosa Federn vor der Siegessäule in Berlin? Ja, tatsächlich, er spricht deutsch. Für mich privat ist aber wichtiger, welche Deutschland-Konstrukltion, also Deutschland-Bewußtsein in seinem Kopf steckt.
    Wenn in New York auch ein nackter Mann mit Federn auf der Straße tanzt, so ist das – bei allem Respekt – keine nationale Eigenschaft. Bei allem Multi-Kulti-Pluralismus möchte ich von mir sagen, das mir das Verständnis Deutschlands durch dessen Vergangenheit und Gegenwart, vor allem aber wahrscheinlich durch meine Kindheit in Deutschland sehr viel bedeutet (vorzugsweise mehr, als zB. New York, USA,…). Welcher Ausländer, der die deutsche Staatsbürgerschaft anstrebt, so empfidet, wäre mir schon wichtig. Versteht er den Unterschied zwischen der NS-Zeit und der BRD? Warum lebte es sich in der DDR nicht so gut? Oder versteht er nur den unterschied zwischen Aldi und Karstadt.
    Es ist ein Unterschied, ob man die Heimat liebt, oder nur ihren Wohlstand.
    Wie steht ein Ausländer z.B. zur NS-Zeit? Das liegt gar nicht so weit weg, zumindest schämen sich immer noch die Deutschen dafür. Ich schäme mich sehr, weil ich Deutschland liebe. Bei Reportagenüber die Konzentrationslager will ich mich im Erdboden verkriechen, so sehr belastet mich das.
    Ich wünschte mir für mein Deutschland, daß jeder Einbürgerungskandidat wenigstens zur Hälfte dieselbe Solidarität mit Deutschland empfinden würde. Ansonsten will er nur Asyl, keine Bürgerschaft.
    Hier der Vorschlag: Asylrecht erweitern, Einbürgerung eher einschränken.

 

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