Hier kommen keine Türken rein! – Das schnelle Wegschauen

19. Januar 2009 | Von | Kategorie: Gastbeiträge, Leitartikel | 5 Kommentare |

Kurz nach Weihnachten 2008, als jeder sich auf das bevorstehende Jahreswechsel vorbereitete, erschien ein Foto eines leer stehenden Geschäftshauses in der türkischen Boulevard-Presse. Das Foto bedarf keiner Überschrift, auch keines Kommentars. Es waren zwei Schaufenster zu sehen mit der Aufschrift: „Hier wollte ein türkisches Restaurant eröffnen, die Stadt sagt nein, hier kommen keine Türken rein“.

Ein Schaufenster in Neckarsulm

Ein Schaufenster in Neckarsulm

Zum Foto war nur noch ein Appell eines türkischen Mitbürgers zu lesen, der seine Landsleute zu Besonnenheit aufforderte. Schließlich lebten Türken und Deutsche seit Jahren friedlich in diesem schmucken Städtchen miteinander. Dennoch ist jetzt die Atmosphäre unter den Bürgern mit türkischer Herkunft infiziert. Sie sind irritiert, geschockt. Nicht nur weil die Fensteraufschrift in der Zeitung veröffentlicht wurde, sondern, besonders deshalb, weil es auch nach einem Monat immer noch am gleichen Ort gegenwärtig ist.

Bei den Einen kamen Erinnerungen auf, als es in den 70’er Jahren ein Trend war, an Gaststätten- oder Discothekeneingänge die Schilder „Hier kommen keine Türken rein“ anzubringen; ein anderer erinnerte sich an die letzte Fastnachtssitzung, wo Hauptthema einer Büttenrede die Eröffnung einiger türkischer Geschäfte in einer kleinen hessischen Ortschaft war, und zu diesem Einzug mit Geschunkel und Helau fröhlich „protestiert“ wurde.

Einige verglichen die abgebildeten Schaufenster mit den Fotos der jüdischen Geschäfte aus der NS-Zeit; ein anderer erinnerte sich wie er 1981 in einer ost-westfälischen Schule täglich von drei Mitgliedern der Wikinger-Jugend mit den Rufen „hier kommen keine Türken rein“ aus der Klasse rausgeschmissen wurde. Ein anderer dachte an Heinrich Manns „Untertan“, wo das Herankeimen des national-sozialistischen Virus in einer friedlich-gutbürgerlichen Kleinstadt beschrieben wird.

Gedanken – Erinnerungen – Verwirrung… da doch alles schon einige Zeit zurück liegt und gegen Ausländerfeindlichkeit doch schon vieles Getan wurde. Und es gibt ja auch noch den Rechtsstaat, der für Frieden und Ordnung sorgt.

Trotz aller Ermahnungen: „wer lesen kann ist klar im Vorteil“ bleibt bei mir immer noch eine Aussage haften „Hier kommen keine Türken rein“. Ich frage mich, ob ich in naher Zukunft mir einen Halbmond auf der Brust anbringen muss. Und ….. mit meinen Gedanken bin ich nicht allein! Ich möchte Klarheit über die Sache, wie alle anderen Betroffenen auch. Ich gehe auf die Suche.

Es stellt sich heraus, dass die Aufschrift an den Schaufenstern durch den Eigentümer persönlich als Anklage gegen die Stadt Neckarsulm angebracht wurde. Die Stadt weist ausländerfeindliche Vorwürfe zurück; es würde bereits eine Anklage gegen den Geschäftshauseigentümer laufen und sie betont ihre Unterstützung gegenüber der türkischen Gemeinde, in dem sie den Bau einer Moschee auf einem netten Stadtareal zugelassen hätte. Der Eigentümer erklärt – ebenfalls mit verständlichen Argumenten – dass die Stadt durch Auflagen des Bauordnungsamts bereits zwei seiner potentiellen Käufer – beide mit türkischer Herkunft – das Interesse an seiner Immobilie abspenstig gemacht habe.

Mittlerweile ist es deutlich, dass die genannte Fensteraufschrift ein Hilferuf des Eigentümers in eigener Sache ist. Es ist auch klar, dass die oben genannten Parteien ihren eigenen Krieg auf dem „Platz des Rechtes“ ausführen. Die Angelegenheit soll nun beim Verwaltungsgericht vorliegen. Die Stadt steht in der Beweislast, ihr Vorkaufsrecht auf gewisse Immobilien bis dato nicht missbraucht zu haben. Der Eigentümer wird sich ebenfalls für die Instrumentalisierung „der Ausländerfeindlichkeit“ und für das verursachte öffentliche Ärgernis verantworten müssen.

Verantworten sollten sich aber auch andere, die seit Mitte Dezember über die Aufschrift persönlich informiert sind, die sich als intellektuelle und sozial engagierte Bürger bezeichnen und es zulassen, dass diese diskriminierende, den Rechtsextremismus fördernde, Aufschrift in dieser feinen Stadt noch immer zu lesen ist.

Wenn vom Nachbarn nachts um 22:05 Uhr noch laute Musik zu hören ist, wird sofort die Polizei benachrichtigt und für Ruhe gesorgt; wenn mit rechtsextremistischen Parolen täglich Passanten diskriminiert werden, wenn der Schüler Ali auf seinem Schulweg täglich ließt, dass Menschen aus seiner Heimat in Deutschland unerwünscht sind und sich dieses in seiner kleinen Seele für immer eintätowiert – das interessiert offensichtlich niemanden – da schaut man ganz schnell weg.

Das Thema um den Bau einer Moschee ist doch bunter und damit angenehmer als sich beim Entfernen des braunen Schmutzes von den Schaufenstern die Hände dreckig zu machen! Einige weinige Aufkleber hätten gereicht, um diese Schaufenster freundlicher zu gestallten.

An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Ekrem Senol der nicht wegschaut, wenn es unangenehm wird.

Hülya Lehr – 17.01.2009

5 Kommentare
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  1. Zunächst auch hier meinen Dank an Ekrem, aber auch an die Hülya, die es sehr toll verfasst hat!

    Könnte man diesen hervorragenden Beitag wieder auf der Frontseite voran stellen und diesen an alle, die am Newsletter angemeldet sind „zuposten“?

  2. @ delice:

    Auch ich möchte mich bei Hülya für ihr Engangement bedanken. Sie hat angefangen, als alle anderen aufgehört haben. Nach meinem Gespräch mit der Stadtverwaltung und nach der Lektüre des Artikels in der Heilbronner Stimme, dachte ich auch, die Wahrheit gefunden zu haben auch wenn ich nicht überzeugt war.

    Über Hülya habe ich dann erst erfahren, dass der Eigentümer des Objekts und Urheber des Schriftzugs keinesfalls einverstanden ist mit dem, was in der Zeitung erschienen ist. Seine Geschichte hörte sich ganz anders an.

    PS @ Delice: Der Artikel ist jetzt auch als Leitartikel oben zu sehen. Die Versendung an die Abonnenten erfolgt aber unabhängig davon, wo der Artikel erscheint. Danke für den Hinweis.

  3. @ Hülya

    ich kann in dem Artikel einige Gedanken sehr gut nachvollziehen.
    Die Verärgerung des Eigentümers kann ich ebenso gut verstehen.
    Nur wirklich neue Erkenntnisse werden wir wohl erst gewinnen, wenn es denn wirklich ein Verfahren bei dem VG gibt und uns jemand über dessen Ausgang informiert.
    Ich verstehe die Wertung nicht, dass es sich bei dieser als Anklage gegen die Stadt gemeinten Plakate um braunen Mist handelt.
    Es ist doch im Gegenteil die so wohl unzutreffende Unterstellung der Ausländerfeindlichkeit bei der Stadt beabsichtigt.
    Vielleicht sollte man – bitte nehmt mir jetzt diese boshaft gemeinte Empfehlung nicht ernst – dem Hauseigentümer empfehlen, der Stadt einen rechtsradikalen Verein als Käufer zu präsentieren. Vielleicht kann er sie dann bewegen, das Vorkaufsrecht auszuüben.

  4. Vielen Dank für die Recherche. Verantworten sollte sich vor allem die türkische Boulevard-Presse, die mal wieder schlecht recheriert oder bewußt gelogen hat. Kennen wir ja von Ludwigshafen. Hülya, warum Sie gerade in diesem Fall das 3. Reich haluzinieren, ist mir schleierhaft. Wie Sie zu Recht schreiben, instrumentalisiert der Eigentümer hier die – sicherlich bestehende – Türkenfeindlichkeit.
    Ach ja, was den kleinen Ali anbetrifft. Der fällt in letzter Zeit in den Medien hauptsächlich dadurch auf, dass er seine Mitschüler als Scheißdeutscher, Hure oder Opfer bezeichnet und gerne auch abzieht. Ich glaube ein Deutscher in Neu-Kölln wird zwischenzeitlich stärker von seinen muslimischen Mitbürgern diskriminiert, als ein Türke in einem deutschem Provinzkaff. Das interessiert auf diesem Blog anscheinend auch niemanden.

  5. @ Krause
    Nun , die Türkischepresse hat eigentlich nichts anderes gemacht was Bild und co tagtäglich machen.
    Man stellt etwas in den Raum , ohne die Zusammenhänge zu nennen , und läst den dingen Ihren Lauf.
    Hülya hat wenigstens genug gehirn bewiesen und hat nachforschungen betrieben und uns allen gezeigt wie es geht und um was es geht. Hut ab !!!!!!!!!

    Aber Ihr Argument mit dem kleinen Ali ist der beste beweis dafür , wie man sich Unterhalten sollte .
    Es hat hier niemand versucht irgendjemanden einen Heiligen schein auf zu setzten , jedoch mit Ihrem beispiel kann und will ich mich nich anfreunden.
    Soll das etwa heißen das wenn ein paar Idioten sich daneben benehmen das diese Art von Protest legitim ist ?
    Ausserdem haben SIe das Beispiel mit dem kleinen ALi nicht verstanden.

 

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