Gute Nacht, Rechtsstaat! – Das Zehn-Punkte-Papier der Berliner CDU zur Integration

15. März 2006 | Von | Kategorie: Leitartikel | Keine Kommentare |

Geht es nach dem Willen der Berliner CDU, soll es im Falle eines Regierungswechsels vor allem bei einem Thema einen radikalen Kurswechsel geben: in der Integrationspolitik. So hat Spitzenkandidat der Berliner CDU, Friedbert Pflüger, den ersten Baustein seines Wahlprogramms vorgestellt und in einem Zehn-Punkte-Papier mit dem Titel „Vielfalt bejahen – Rechtsstaat durchsetzen“ sein Verständnis über „eine funktionierende Integration“ erläutert.

Der Zweite Punkt des trägt die Ãœberschrift „Qualifikation als Grundvoraussetzung von Integration“ und gibt folgendes vor:

Der verpflichtende Schulbesuch von Kindern ist uneingeschränkt durchzusetzen. Das gilt für alle Kinder und für alle Unterrichtsfächer, also auch für den Sport-, Biologie- oder Sexualkundeunterricht sowie für Klassenfahrten. Hier ist kein Raum für Großzügigkeit oder Nachsicht. Der Bezug von Kindergeld sollte für alle Berliner an den Nachweis des Schulbesuchs durch eine entsprechende Bescheinigung (Schulbescheinigung) gekoppelt werden.

Die TAZ fasst dies zu Recht wie folgt zusammen:

Wer seine Kinder nicht am Biologie- oder Sportunterricht oder an Klassenreisen teilnehmen lasse, sollte kein Kindergeld mehr erhalten.

Bezüglich des Sportunterrichts möchte ich dem zwei Entscheidungen entgegen halten:

  • BVerwGE vom 25.08.1993 (Az.: 6 C 8/91) – Leitsatz: „Führt ein vom Staat aufgrund seines Bildungs- und Erziehungsauftrags aus Art. 7 Abs. 2 GG im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht angebotener koedukativ erteilter Sportunterricht für eine zwölfjährige Schülerin islamischen Glaubens im Hinblick auf die Bekleidungsvorschriften des Korans, die sie als für sie verbindlich ansieht, zu einem Gewissenskonflikt, so folgt für sie aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ein Anspruch auf Befreiung vom Sportunterricht, solange dieser nicht nach Geschlechtern getrennt angeboten wird.
  • OVG Münster vom 12.07.1991 – Az.: 19 A 1706/90 – Leitsatz: Ein besonderer Ausnahmefall iSd § 11 Abs 1 S 1 ASch0 (Schu10 NW), der eine Befreiung vom Unterricht rechtfertigen kann, ist in verfassungskonformer Auslegung jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Durchsetzung der Teilnahmepflicht an einer bestimmten Unterrichtseinheit grundrechtlich geschützte Positionen des Kindes und/oder seiner Eltern verletzen würde; hier: Befreiung vom koedukativen Schwimmunterricht in der Grundschule im Hinblick auf Bekleidungsvorschriften des Koran.

Wir erinnern uns: „… Rechtsstaat durchsetzen“ heißt es im Titel. Die Gerichte des Rechtsstaates geben muslimischen Kindern das Recht, vom Sport- und Schwimmunterricht bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen befreit zu werden, während die Berliner CDU bei Inanspruchnahme dieses Rechts mit Sanktionen droht und das ganze auch noch mit „Rechtsstaat durchsetzen“ betitelt.Gute Nacht, Rechtsstaat!

Dazu auch: „Ein Balanceakt, nicht mehr“ in der TAZ

Ekrem Senol РK̦ln, 15.03.2006

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