Wenn das Schulamt Jura spielt

17. Februar 2007 | Von | Kategorie: Recht | 3 Kommentare |

Im folgenden geht es um den Antrag einer muslimischen Familie auf Befreiung ihrer Töchter vom Sport- und Schwimmunterricht. Das Schulamt in Hessen verlangt die Vorlage einer Bescheinigung einer „anerkannten Autorität der Glaubensrichtung“, um dem Antrag zu entsprechen. Die Familie ist der Ansicht, eine solche Bescheinigung nicht vorlegen zu müssen. Zu Recht?

Antwortschreiben der Schule

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.08.1993 (Az.: 6 C 8/91), aus der hier wohl die Pflicht der Schülerin hergeleitet wird, eine Bescheinigung einer „anerkannten Autorität der Glaubensrichtung“ vorzulegen:

Ebenfalls zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass denjenigen, der unter Berufung auf sein Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die Befreiung von einer vom Staat durch Gesetz allen auferlegten Pflicht – hier von der allgemeinen Schulpflicht hinsichtlich des Sportunterrichts – begehrt, die D a r l e g u n g s l a s t dafür trifft, dass er durch verbindliche Ge- oder Verbote seines Glaubens gehindert ist, der gesetzlichen Pflicht zu genügen, und dass er in einen Gewissenskonflikt gestürzt würde, wenn er entgegen den Ge- oder Verboten seines Glaubens die gesetzliche Pflicht erfüllen müsste. Es hat sich nämlich nicht darauf beschränkt, entsprechende verbale Behauptungen der Klägerin entgegenzunehmen, sondern es hat zusätzlich tatsächliche Feststellungen darüber getroffen, dass die Klägerin die von ihr als für sie verbindlich bezeichneten Bekleidungsvorschriften des Korans, wie sie sie versteht, in ihrem täglichen Leben konsequent beachtet und z.B. in der Öffentlichkeit sowie insbesondere auch im Schulunterricht ein Kopftuch sowie weite Kleider trägt.

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In diesem Zusammenhang hat es sich mit dem konkreten Inhalt der in der Bescheinigung des Islamischen Zentrums Aachen vom 13. August 1990 beschriebenen Bekleidungsregeln, auf die die Klägerin – unter Hinweis auf die zugrundeliegende Sure 24, Vers 31, des Korans – sich berufen hatte, auseinandergesetzt und das Vorbringen der Klägerin im Sinne einer Ernsthaftigkeitskontrolle an diesen Bekleidungsregeln gemessen.

Die Betroffene hat im vorliegenden Fall also tatsächlich eine Bescheinigung vorgelegt. Mal sehen, was das Gericht weiter ausführt.

Auf diese Weise hat es ausreichend sichergestellt, dass nicht schon die bloße – nicht ernsthafte, möglicherweise aus anderen Gründen vorgeschobene – Berufung auf behauptete Glaubensinhalte und Glaubensgebote, sondern erst die konkrete, substantiierte und objektiv nachvollziehbare Darlegung eines Gewissenskonfliktes als Konsequenz aus dem Zwang, der eigenen Glaubensüberzeugung zuwiderzuhandeln, geeignet ist, einen möglichen Anspruch auf Befreiung von einer konkret entgegenstehenden, grundsätzlich für alle geltenden Pflicht unter der Voraussetzung zu begründen, dass der Zwang zur Befolgung dieser Pflicht die Glaubensfreiheit verletzen würde.

Fest steht demnach, dass „erst die konkrete, substantiierte und objektiv nachvollziehbare Darlegung eines Gewissenskonfliktes … einen möglichen Anspruch auf Befreiung“ begründet. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin durch tatsächliche Feststellungen aus ihrem Leben sowie die Vorlage einer Bescheinigung die Glaubhaftmachung „ausreichend sichergestellt“.

Ob für die Glaubhaftmachung eine Bescheinigung immer erforderlich ist, hat das Bundesverwaltungsgericht allerdings offen gelassen. Das Schulamt jedenfalls folgert aus der Darlegungs- und Glaubhaftmachungspflicht der Schülerin eine Pflicht zur Vorlage einer Bescheinigung.

Fraglich ist also, ob die „konkrete, substantiierte und objektiv nachvollziehbare Darlegung eines Gewissenskonfliktes“ – neben tatsächlichen Feststellungen – nur durch die Vorlage einer Bescheinigung einer anerkannten Autorität der Glaubensrichtung „ausreichend sichergestellt“ werden kann. Schauen wir uns dazu eine jüngere Entscheidung (VGH Kassel, Beschluss vom 07.06.2004, Az: TG 448/04) an:

„Auch bei Angehörigen einer Religionsgemeinschaft wäre die verlangte Bescheinigung im Übrigen kein zwingendes Beweismittel für eine entsprechende Glaubenshaltung, denn ein bestimmtes Verhalten darf auch dann als moralisch verbindlich reklamiert werden, wenn es mit der offiziellen Lehrmeinung einer Religion oder Religionsgemeinschaft in Widerspruch steht. Selbst Außenseitern und Sektierern ist die ungestörte Entfaltung ihrer Persönlichkeit gemäß ihrer subjektiven Glaubensüberzeugung gestattet. Als spezifischer Ausdruck der in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde schützt Art. 4 Abs. 1 GG gerade auch die vereinzelt auftretende Glaubensüberzeugung, die von den Lehren der Kirchen und Religionsgemeinschaften abweicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.04.1972, OVG Lüneburg, Beschluss vom 26.04.1991, OVG Münster, Urteil vom 12.07.1991 sowie Halfmann, jeweils a. a. O.). Schon aus diesem Grunde darf es auch Mitgliedern von Religionsgemeinschaften nicht verwehrt werden, ihre individuelle Glaubensüberzeugung auf andere Weise als durch Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung ihrer Kirche glaubhaft zu machen.“

Selbst „bei Angehörigen einer Religionsgemeinschaft wäre“ also „die verlangte Bescheinigung … kein zwingendes Beweismittel“. In unserem Fall hat das Schulamt noch nicht einmal eine Feststellung darüber getroffen worden, ob die Familie einer „anerkannten Autorität der Glaubensrichtung“ angehört.

Fazit: Aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht geht, entgegen der Behauptung des Schulamtes, nicht hervor, dass die Vorlage einer Bescheinigung zwingend erforderlich ist. Der VGH Kassel dagegen nimmt zu der Frage Stellung und verneint eine Bescheinigungspflicht ausdrücklich. Auch die Verfassungswidrigkeit einer solchen Forderung geht aus der Entscheidung des VGH Kassel eindeutig hervor.

Das Schulamt macht, nicht nur wegen der Rechtschreibfehler, keine gute Figur. Selbst Schuld, wenn die Damen und Herren aus Hessen in Richtung Leipzig starren, obwohl Kassel doch viel näher liegt.

Ekrem Senol РK̦ln, 17.02.2007

3 Kommentare
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  1. Paedagogen und Recht – zwei Welten treffen aufeinander!

    Leider meinen die meisten sog. Paedagogen, dass sie selbstverstaendlich auch für Rechtsfragen kompetent sind, und solche, die im Schulamt sitzen, erst recht…
    Arme Kinder!

  2. Muahahaa, lächerlich der satanistische böse Sport- und Schwimmunterricht. Da muss einer Befreiung mit Hilfe der Gesetzeslage natürlich entsprochen werden. Gesetze kann man ändern, und hoffentlich bald. Das soll Integration sein?
    MfG Andreas

  3. @ Andreas
    Was ist den für Sie Integration ?
    Wenn Sie schon das verurteilen können Sie ja bestimmt auch klar definieren was das Wort Integration in Bezug auf Deutschland zu bedeuten hat.

 

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