Integrationsministerin Maria Böhmer über die freie Grundschulauswahl und die Integration ausländischer Kinder

11. Mai 2007 | Von | Kategorie: Gesellschaft | 4 Kommentare |

Im zweiten Teil des Deutschlandfunk-Interviews stellt sich die Staatsministerin für Integration, Frau Maria Böhmer, den Fragen über die freie Grundschulauswahl in einigen Bundesländern und den damit verbundenen Problemen bei der Integration ausländischer Schüler/innen.

Spengler: … Dient es der Integration, wenn in manchen Bundesländern, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, Kinder nicht mehr die der Wohnung nächstliegende Grundschule besuchen müssen, sondern wenn Eltern jetzt auch andere Schulen wählen können? Das hat nämlich die Folge, dass Zuwanderer unter sich bleiben.

Böhmer: Das ist eine sehr unterschiedliche Diskussion, die man damit hat. … Was Sie jetzt ansprechen, ist die Situation vor Ort. Und das wird auch ein Thema sein heute bei dem Zusammentreffen der Integrationsbeauftragten von Bund, Ländern und Gemeinden: Wie vollzieht sich Integration vor Ort? Das ist ein entscheidender Gesichtspunkt, und der geht ja weit über die Frage Zusammenleben mit Muslimen hinaus. Die Bildungsfrage ist die Schlüsselfrage. Und eine Variante ist, die Sie ansprechen, dass Freizügigkeit bei der Schulwahl besteht, dass man nicht nur an der Grundschule dann Unterricht erfährt, wo man wohnt, sondern dass man in eine andere Grundschule gehen kann. Genau dieses wird ja gefordert, wenn wir an Stadtteile denken, die ganz stark bewohnt werden von Zuwandererfamilien, dass man fast 90 Prozent von Kindern hat, die aus Zuwandererfamilien stammen. Wenn Sie an Neukölln denken oder an andere Stadtteile in großen deutschen Städten, dann ist die Situation so. Dort wird gefordert, dass man Kinder von einem Stadtteil in den anderen bringt.

Gut, dass Frau Böhmer uns erklären kann, was freie Grundschulauswahl bedeutet. Ob dieser Umstand allerdings der Integration ausländischer Kinder dient, beantwortet sie nicht.

Spengler: Das heißt, die freie Grundschulwahl ist etwas, was den Auswanderern zugute kommt, den Zuwanderern zugute kommt?

Böhmer: Nein. Ich würde es anders sehen, muss ich Ihnen sagen. Wir müssen mit den Gegebenheiten von Schule klar kommen. Das heißt, Schulen, die sich in solchen Stadtteilen befinden, wo überwiegend Zuwandererkinder in die Schule gehen, dort muss die Schulsituation verbessert werden. Das heißt, wir brauchen eine Stärkung der Schule durch einen entsprechenden Lehrerschlüssel. Wir brauchen mehr Lehrerinnen und Lehrer, die selbst Migrationshintergrund haben. Wir brauchen Schulsozialarbeiter an diesen Schulen. Wir brauchen eine Stärkung des Deutschunterrichtes an diesen Schulen.

Nein? Und was sind die Konsequenzen? Was wird dagegen unternommen? Wieso hat man die freie Grundschulauswahl dann überhaupt ermöglicht? Was gedenkt die Staatsministerin für Integration zu unternehmen, um den Deutschunterricht zu stärken? Und was hat bitte die sowieso notwendige Verbesserung der Schulsituation mit der Ursprungsfrage zu tun, ob die freie Grundschulwahl der Integration dient?

Spengler: Und brauchen wir auch deutsche Schüler in diesen Schulen?

Böhmer: Es wäre natürlich hilfreich, und an dieser Stelle sage ich, ich habe Schulen kennen gelernt, die sich neu ausgerichtet haben und die dann ihren Unterricht so reizvoll gestaltet haben, dass Eltern sagten, dort wollen wir unsere Kinder hinschicken. Und auf einmal hat sich die Zusammensetzung der Schüler geändert. Es ist also eine wichtige Aufgabe, die Schulen hier zukommt, von Seiten der Schulleitung, von Seiten der Lehrerkollegien und der Eltern. Denken Sie an die Hoover-Realschule in Berlin, wo man gesagt hat „Deutsch auf dem Schulhof“. Und der Zuspruch zu der Schule ist gewachsen. Hier gibt es Möglichkeiten, dass man sehr innovativ und sehr klar die Weichen stellt für die Zukunft.

Hilfreich? Nein Frau Böhmer, es wäre sicherlich notwendig, dass ausländische Schüler in Grundschulen nicht unter sich bleiben sondern auch deutsche Mitschüler haben. Was aber hat bitte die Neuausrichtung mit der Frage zu tun, ob deutsche Schüler an solchen Schulen gebraucht werden?

Auch an dieser Stelle möchte ich § 93 des Aufenthaltsgesetzes auszugsweise zitieren, in der die Aufgaben der Integrationsministerin aufgelistet sind:

1. die Integration der dauerhaft im Bundesgebiet ansässigen Migranten zu fördern …

2. die Voraussetzungen für ein möglichst spannungsfreies Zusammenleben zwischen Ausländern und Deutschen sowie unterschiedlichen Gruppen von Ausländern weiterzuentwickeln, Verständnis füreinander zu fördern und Fremdenfeindlichkeit entgegenzuwirken;

3. nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen, soweit sie Ausländer betreffen, entgegenzuwirken;

4. den Belangen der im Bundesgebiet befindlichen Ausländer zu einer angemessenen Berücksichtigung zu verhelfen;

…7. Initiativen zur Integration der dauerhaft im Bundesgebiet ansässigen Migranten auch bei den Ländern und kommunalen Gebietskörperschaften sowie bei den gesellschaftlichen Gruppen anzuregen und zu unterstützen;

…10. die Öffentlichkeit zu den in den Nummern 1 bis 9 genannten Aufgabenbereichen zu informieren.

Dennoch viel Erfolg an die Staatsministerin für Integration!

Ekrem Senol РK̦ln, 11.05.2007

4 Kommentare
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  1. Ja, sieht so aus, als hätte Böhmer sich um eine klare Antwort gedrückt – es sei denn, das Deutschlandradio hat das Interview unglücklich zusammengekürzt. Ich verstehe sie so, daß sie keine Grundschulbindung und kein School-bussing fordert, sondern andere Ansätze versuchen möchte, um durchmischte Schulen attraktiv zu machen.

    Wie ein selbstsegregiertes Schulsystem aussieht, kann man scheinbar in Großbritannien sehen, wo man aber jetzt mit Schulausflügen(?!) gegenhalten will:

    One in 20 primary schools have no ethnic minority pupils and 323 schools have more than half of pupils from Bangladeshi or Pakistani backgrounds.
    Draft guidance, which is out to consultation before becoming law later this year, recommends field trips with a racial or faith angle, and inviting religious leaders to schools.
    Jim Knight, the schools minister, said yesterday the rules would be enforced by Ofsted, which has the power to sack the governing body or recommend closure if schools fail to comply.

    http://www.telegraph.co.uk/news/main.jhtml?xml=/news/2007/05/08/nschools08.xml

    Ob es das bringt? Hört sich an wie Zoo-ausflüge…

  2. @ M

    In meinen Augen hat Frau Böhmer sich klar für die freie Grundschulwahl ausgesprochen mit allen nachteiligen Konsequenzen für Ausländerkinder und deren Integration. In Problemschulen, wo Ausländerkinder unter sich bleiben, sucht sie dann nach anderen Möglichkeiten, jedoch ohne konkrete Ansätze zu nennen. Dass mehr Lehrer gebraucht werden etc. ist Asbach mit Bart und überzeugt einfach nicht mehr.

    Diese Ansichten mögen für den einen oder anderen Unioner vertretbar sein. Frau Böhmer ist aber Integrationsministerin! Sie sollte aufhöhren Parteipatriotismus zu betreiben und sich ihren Hauptaufgaben widmen (s.o. § 93 AuftenhG)

  3. Hm,
    ich kann da keine solche klare Aussage erkennen.
    (Die konkrete Einführung der freien Grundschulwahl ist übrigens auch eindeutig Länderkompetenz, vielleicht äußert man sich da als Bundesintegrationsbeauftragte besser vorsichtig.)

    Man sollte auch nicht übersehen, daß die Bindung von Grundschulort an Wohnort durchaus nicht gemischte Schulen garantiert. Es zementiert eher räumliche Segregation…

    Und daß die Kombination von Grundschulbindung mit School-bussing messbare Erfolge bringt würde ich gerne mal nachlesen, gibts da ne Studie zu? Ich glaube mich da an Gegenteiliges zu erinnern.
    Davon abgesehen wäre es auch ein Eingriff in Grundrechte von Eltern und Kindern.

  4. @ M

    Na, na! Wäre sie dagegen, würde sie das mit allem Nachdruck deutlich machen. So lässt sie es offen, weil sie keine Argumente entgegenbringen kann und die Konsequenzen für Problemschulen eindeutig sind.

    Zur Ländersache: Seit wann trennen das Minister und halten sich zurück wenn sie etwas dazu sagen „können“? Im übrigen hält sich Frau Böhmer ja nicht zurück. Sie spricht darüber.

 

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