Ungenutzte Potenziale – Vergleiche die hinken

9. Februar 2009 | Von | Kategorie: Gastbeiträge | 2 Kommentare |

Betroffen – und dazu noch alle Fragen offen !

Das Querlesen der Berliner Integrationsstudie „Ungenutzte Potenziale“ endet mit der aufgeblitzten Erinnerung ans „Reich-Ranicki-Axiom“: „ … betroffen – aber alle Fragen offen“

Mikrozensus – das erinnert an differenziertes Umgehen mit Massendaten aus denen dann Wetterberichte, also treffsichere Vorhersagen entstehen, denen sich nur das unkooperative Wetter verweigert oder gar nicht angemeldete Unwetter-Ereignisse dagegen aufbrausen …
Der in der Studie verwendete „Mikrozensus 2005“ ist eine gegenüber Vorjahren geänderte und aufs ganze Jahr bezogene Zufallsstichprobe.

Integrationsstudie - Ungenutzte Potenziale

Integrationsstudie - Ungenutzte Potenziale

„Nüchtern“ oder ernüchternd ?

Durchaus erwartbar sorgte die Studie für einschlägige Reaktionen, wobei wahrscheinlich fast nur Schlag-Zeilen und Interpretationen der Medien die Meinungsbildung bestimmen. Die Feinheiten der Studie fallen dabei kaum bzw. nicht auf.

Der interessanten Überschrift „nüchterne“ (?) Integrationsdebatte folgt eine weich gehaltene Einleitung.
Doch schnell zeigt die Studie Klartext:

  • „landen in Parallelgesellschaften“ [Seite 6 (OriginalSeite 4) Spalte 1]
  • „religiöse Ãœberzeugungen an Vorstellungen und Werte die nicht mit den Grundlagen der hiesigen Gesellschaft vereinbar sind“ [S. 6 (OS 4) Sp. 2; ähnlich S. 12 (OS 10); s.a. S. 86 (OS 84) Sp.1 Abs.2];
  • Beschreibung jener multikulturellen Gesellschaft in der jeder nur „unbeeinflusst seine Eigenart auslebt“ [S. 4 (OS 6) Sp. 2].
  • „enorme Gruppe ungebildeter Menschen“ [S. 70 (OS 68) Sp. 3]
  • „schlechtes Prestige“ [S. 83 (OS 81) Grafik]
  • „Türkischstämmige äußerst schlecht integriert“ [S. 38 (OS 86) Sp.3 Mitte] – und bevor es jemand schlecht wird, seien LeserInnen gewarnt, das Wort „schlecht“ erscheint nur 88-mal in der Studie …

Überraschend an diesen Begrifflichkeiten aus dem vorigen Jahrtausend der von Assimilation trunkenen Integrationsdebatte ist lediglich, dass solche „Einstellungen“ plötzlich mit Mikrozensus-Daten untersuchbar sein sollen.

42-mal erscheint das Wort „Gastarbeiter“ mit dem erklärt wird, warum es „schlecht integrierte“ [S. 7 (OS 5) Sp. 3] Bevölkerungsgruppen gibt. Diese Häufigkeit verblüfft insofern, als sich die Studie auf Zahlenmaterial des Jahres 2005 beruft. Selbst die suboptimale Korrekturhilfe im PC erkennt und warnt „veralteter Ausdruck“.
Aufschlussreich wird formuliert „ob sie als Gastarbeiter oder Asylanten, als Aussiedler oder hoch qualifizierte Wirtschaftsmigranten kamen“ [S. 8 (OS 6) Sp. 2]. Aus dieser Formulierung darf der aufmerksame Betrachter seine eigenen Schlüsse ziehen.

Der aufmerksame Betrachter mag seine Schlüsse ziehen aus dem „Assimilations-Dartscup“ plakativer Studien-Pfeile [Seite 11 +12; OS 9 + 10]. Doch wie das so ist mit Darts, nicht alle Pfeile landen …

Abbildung

Wo Migranten gefordert sind, was die Aufnahmegesellschaft bieten muss

Bei dieser Gelegenheit informiert ein kurzer Blick auf das Presseecho über die Wirkung oben genannter Formulierungen.

Wörtlicher Teilabdruck vorformulierter Pressemeldungen ohne eigene Prüfung, geschweige kritischer Überlegungen, versehen mit eigener kräftiger Schlag-Zeile, text-verkürzt plus zwei drei telefonisch eingeholte Stellungnahmen – ist das der heutige Standard von Meldungen im freien Blätterwald? Deshalb dominiert Unkenntnis nicht nur bei „Privat“-Meinungen, sondern durchaus auch bei Organisationen, vor allem aber bei „Kopisten“ mit wenig idealen Zugaben, Reaktionen oder seltsamen Umfeld.
So fallen z. B. die „Vorarlberger Nachrichten“ auf. Unter dem Bericht vom 23.01.2009* über „15 Jahre für Mordversuch“ in Bludenz eines 25jährigen Türken, erscheinen zusammenhanglos Kommentare und Hinweise (ap, Spiegel) zur Studie.
Eine gewisse Ausnahme stellt z. B. die net-Zeitung dar, die am 27.01.2009* mit eigener Überschrift gegenüber dem Erstbericht 26.01.2009 nachlegte. ngz 26.01.2009* und statista vom 28.01.2009* berichten ebenfalls eigenständig.
Wohltuend sachlich berichtet „focus-Migration“* über die BASS-Vorstudie im Newsletter 4/2008.
Andere Berichte zur Berliner Studie, wie z. B. der Bericht in „Der Spiegel“, werden im weiteren Textverlauf zitiert.

Im NDR-Fernseh-Talk aus Hannover am 02.02.09 ab 02.20h unter dem Titel „Tietjen und Dibaba“, schilderte Frau Hatic Akyün (Buchautorin, Hamburg; Duisburger Preis für Integration?) was sie nach Veröffentlichung der Studie vorfand: „Türken verweigern eisern Integration“ oder „integrationsunwillig“ usw. lauteten die Zeitungsüberschriften. Sie erzählt „wir als Gastarbeiterkinder haben alle bei null angefangen … und haben trotzdem gute Abschlüsse erreicht … und Bildungsverweigerer seien Folge … eher sozialer Probleme, die zum Rückzug führen“. Das erstaunt den erfreuten Beobachter, denn genau dies formulierte er bereits vor knapp 8 Tagen in diesem Beitrag.

(*) Artikel am 03.02.2009 nicht in der „Presseschau bis 31.01.2009“ auf der Webseite des Berliner Instituts zur Studie enthalten.

Vergleiche die hinken

Der Vergleich zwischen Menschen mit Asyl- und Migrantenhintergrund mit von anderem kulturellen Hintergrund geprägten Aussiedlern („deutsche Volkszugehörige“) irritiert, besonders wenn er dann beim „anatolischen Bauernkind“ landet. [S. 7 (OS 4) Sp.3]
Andere Studien beziehen die Aussiedler zwar in die Gruppe der Zuwanderer mit ein, unterlassen jedoch Vergleiche innerhalb dieser Gruppe.

Schon vor längerer Zeit wurde festgestellt, dass der „Aussiedlerstatus“ (s. GG Artikel 116) nicht mit meistens deutlich ungünstigeren Bedingungen anderer MigrantInnen vergleichbar ist. Das gesetzlich eingeführte Kriterium „deutsche Sprachkenntnisse“ für diese Zuwanderer stoppte die bis 1996/1997 hohe Zuwanderungszahl. Es liegt ausschließlich im Ziel der Aussiedlung, dass alle (100 %!) diese Menschen möglichst schnell nur noch deutsche Staatsbürger mit deutschem Pass [S. 22 (OS 19) Sp. 1] sein wollen.

Mangels entsprechender Kommentierung erweckt der Vergleich mit anderen Bevölkerungsgruppen nicht nur beim weniger informierten Leser falsche Vorstellungen. Er ist auch geeignet bis in die Fachwelt an sich vermeidbare Überlegungen auszulösen.

Wozu dient der kontrastierende Hinweis auf gesetzlich und faktisch bevorzugte Aussiedler (100 % deutscher Pass) im Vergleich auf die migrantenreichsten Städte, in denen weniger als 40 % über einen deutschen Pass verfügen? Soll das Zielvorstellungen transportieren?

Verdrängt ein Gefühl die Vorteile eines deutschen Passes, muss dies etwas damit zu tun haben, wie sich Betroffene in der neuen Heimat fühlen, obwohl bekannt ist: „der deutsche Pass hebt funktionale und rechtliche Arbeitsmarktbeschränkungen auf“ [HWWI Juni 2008]. Formalrechtliche Fragen zwischen Türkei und BRD kommen hinzu. Möglicherweise verstärkt der Zungenschlag dieser Studie eher jenes Gefühl.

Auf Seite 42 (OS 40) beweisen die Formulierungen wenigstens an einer Stelle mehr Sensibilität, sowohl in Sachen Heimatgefühl ohne deutschen Pass, als auch in der Erkenntnis des förderlichen Netzwerkes italienischer MigrantInnen.

Erwerbsbiografien ohne Einfluss von Arbeitgeber und Arbeitsmarkt ?

Das Wort „Arbeitgeber“ erscheint nur 2-mal in sekundärem Zusammenhang [S. 87 & 52; OS 85 & 50], obwohl deren Verhalten und Entscheidungen besonders Einfluss auf Erwerbsbiografien bei MigrantInnen nehmen. Haben „missglückte“ [S. 30 (OS 28) Sp.2] Integration und jahrelang instabiler Arbeitsmarkt etwas miteinander zu tun?
Auf eine Gewichtung solcher Indikatoren wurde verzichtet. Stattdessen soll dies der Indikator „Dynamik“ ausgleichen. Das liest sich zwar bedeutsam, ist dennoch kaum nachvollziehbar.

Wirtschaftlich ungünstigen Entwicklungen in einzelnen Bereichen folgt umgehend strukturelle Ausgrenzung von Beschäftigungsverhältnissen, bei der andere Kriterien als Kenntnisse und Fähigkeiten oder wie die Studie es hier wenig differenziert „Bildung“ nennt, im Vordergrund stehen.

Bundesweit z. B. dokumentierte sich in der „Abflachung unternehmensinterner Hierarchien“ die Freisetzung etwa ab 1990 gut ausgebildeter Arbeitnehmer. Zuletzt in der Gastronomie mit konjunkturell bedingtem Beschäftigungsrückgang gerade bei türkischen MigrantInnen in 2003/2004.

Im unteren Lohnsegment mit vorzugsweise gegenüber MigrantInnen etablierten „befristeten“ Vertragsverhältnissen [BRD seit 2004: Anteil von 12 -13 % gegenüber 7-8 % aller Erwerbstätigen, Eurostat; s.a. Beispiele S. 48 + 46; OS 46 + 44] trifft es diese Gruppe immer zuerst, da die „Inländer-Stammbelegschaft“ kaum kündbar ist.

Strukturell Ausgegrenzten („insbesondere Türken, zwischen 2001 und 2002 verhältnismäßig stark von Entlassungen betroffen“, OECD) öffnet sich der Arbeitsmarkt erst wieder bei wirtschaftlich günstiger Entwicklung – allerdings nicht sofort, sondern zeitversetzt.
Dauert dies mehrere Jahre, wirkt das generell sozial-negativ auf die nachwachsende Generation. Überbrückungsversuche Einheimischer dokumentieren sich z. B. in der bundesweiten Riege „selbstständiger und akademischer“ Taxifahrer jenseits des Studentenalters. Ein Weg der sich MigrantInnen nur bei großen Taxiunternehmen öffnet, vorausgesetzt, sie beherrschen die Landessprache wirklich gut.
Wo und wie soll da der Indikator „Dynamik“, der zwischen zugewanderter und daraus resultierender „hier geborener“ Generation vergleicht, einen Ausgleich herstellen?

** verschlossener Indika-Tor & öffentlicher Dienst?

Die Studie referiert z. B. arbeitsmarktbezogene Strukturprobleme in NRW und verbindet dies mit eindeutigen Feststellungen:
„In Duisburg BLEIBT fast die Hälfte der Migrantinnen dieser Altersklasse dem Arbeitsmarkt FERN“ [S. 74 (OS 72) Spalte 2 unten];
„wie wenig die Migranten den Weg in die Gesellschaft GEFUNDEN HABEN zeigt, dass nur 7 % von ihnen im öffentlichen Dienst beschäftigt sind“ [S. 74 (OS 72) Spalte 3 unten].

Den Weg in die Berliner Studie haben jedoch die tatsächlichen Verhältnisse kaum gefunden, denn der öffentliche Dienst wurde gegenüber 1990 um rd. 2 Millionen Beschäftigungsverhältnisse verringert, was nicht nur auf Privatisierungen von Bahn und Post, Versorgungswerke und anderen, sondern zu ca. 50 % auf Einstellungsstopp und Umstrukturierungen beruht.

Vieldeutig eindeutig weist die Studie beim öffentlichen Dienst explizit daraufhin, dass dazu Angestellte für die Straßenreinigung oder Grünflächenpflege gehören, um in der nächsten Zeile von Migranten zu sprechen, deren gesellschaftliche Anerkennung Indikator dafür sei in welchem Maße sie in der Gesellschaft angekommen sind [S.33 (OS 31) Sp.3 Nr.12] – … angekommen auf dem langen Marsch durch die Gesellschaft auf den von ihnen zuvor gereinigten Straßen?

Erstens sind es extrem selten „Angestellte“, sondern nahezu ausschließlich „Arbeiter“ (beachte Tarifvertrag), wenn sie überhaupt noch im Staatsdienst, viel eher in Privatfirmen als „Ausgelagerte“ tätig sind. Und seit „Hartz IV“ verrichten Grünanlagenpflege nicht selten „1-Euro-Jobber“. Weiterer Kommentar überflüssig – diese Ideologie wird wohl jeder verstehen.
Formulierungen wie „bleibt fern“ oder „wie wenig die Migranten den Weg gefunden haben“, übergehen damit zuvor berichtete Verhältnisse, um MigrantInnen als alleinverantwortlich zu präsentieren.

Der öffentliche Dienst im NRW der leeren öffentlichen Kassen mit drastischem Stellenabbau, Verkauf kommunaler Versorgungseinrichtungen, wo sogar Geld für Anstreichfarbe für Schulräume fehlt, langjährig nicht behobene Substanzschäden an Gebäuden die Sicherheit von LehrerInnen und SchülerInnen bedrohen, manche Straßen an löchrige Feldwege erinnern – ausgerechnet dort wollen die Autoren mit dem Indikator „öffentlicher Dienst“ die „missglückte“ Integration der MigrantInnen beweisen?

Wenn keine Herkunftsgruppe dabei die Werte der Einheimischen erreicht [S. 56 (OS 54) Sp. 1 unten], sprechen kaum objektive Indikatoren dafür. Vieles spricht eher für die Wirkung des fehlenden Studien-Indikators „Diskriminierung“, wie es von anderen Autoren thematisiert wird. Etwas verständnisvoller in Sachen Arbeitslosigkeit wird es dann wenigstens später [S. 77, OS 70], was auch die plakativ hervorgehobenen Fallbeispiele [S. 46; OS 44] demonstrieren.

**

Ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne einer solchen Studie dürfte erst dann Indikator gelungener Integration in den Arbeitsmarkt sein, wenn Nachhaltigkeit und sozialverträgliche Gestaltung damit verbunden sind. Jedoch wird das nicht dokumentiert.

Kritisch bleibt zu fragen, ob Schein-Selbstständige und werkvertragsbasierte Arbeitnehmertätigkeiten mit mangelnder sozialer Absicherung, Indikatoren gelungener Integration sein können. Vielleicht ist gerade das eine tatsächliche Assimilation ins Wirtschaftsleben statt Integration ins Einwanderungsland. Das problematisiert die Studie nicht.

Anzumerken ist, dass der Mikrozensus nur die sog. „Haupterwerbstätigkeit“ bzw. Hauptwirtschaftstätigkeiten, telefonisch (CATI) erfragt bzw. im Rahmen qualifizierter Stichproben erfasste. Mehrere kleine Jobs als Nebentätigkeit oder anstelle von Haupterwerb, gelten im bisherigen Mikrozensus als „untererfasst“. Im Übrigen sind statistische Werte auch des Jahres 2005 „von außergewöhnlichen (Umstellungs-)Effekten beeinflusst“, wie das Statistische Bundesamt (destatis) erläutert. Anders das seit September 2007 revidierte Konzept der EU-basierten ILO-Arbeitsmarktstatistik, das auch kleinere bezahlte Tätigkeiten (Schüler ab 15 Jahren, Studenten, Hausfrauen, Rentner) bei „ziviler“ Erwerbstätigkeit statistisch berücksichtigt. In der Hochrechnung werden die relativ verlässlichen Zahlen der Arbeitsverwaltung beigezogen.

Unter programmatischer taz-Überschrift „Niemand ist gern ungebildet“ (taz.de 27.01.2009) beklagt Frau Ülker Radziwill (SPD Berlin), „türkische Gastarbeiter als Wendeverlierer“, weil „Industriearbeitsplätze durch die Wende entfallen“ seien.

Richtig ist, dass dieser Wegfall primär zufällig mit der Wende zeitlich zusammentraf, soweit es sich nicht um schon in der DDR defizitäre, nicht marktfähige und „abgewickelte DDR-Industrie“ handelte. Solche irrtumsbehafteten Klagen blenden die Globalisierungs-Realität aus.

Industriearbeitsplätze wandern schon seit 25 Jahren vom BRD-Hochlohnstandort weg. Verstärkte Globalisierungseffekte ab 1990 sorgten für Industriearbeitsplatz-Abbau (1990-2000 ca 2,6 Millionen). Von 2000 bis 2015 entfallen weitere ca. 2 Millionen, so dass noch maximal 5 Millionen dieser Arbeitsplätze in der BRD verbleiben (vorwiegend hoch spezialisierte Nischentechnologie; Maschinen Export/Import-Ratio 3 zu 1). Faktoren wie z. B. Standortwahl neuer Fertigungsindustrien ausschließlich in Niedriglohnländer, Wegfall von Industrie-induzierten Dienstleistungen etc. (= Mega-Globalisierung) wirken sich dabei kettenartig negativ auf die Altstandorte aus. Dazu sind Entwicklungen wie in China und ähnlich in Indien zu berücksichtigen. Sie vervielfachen jährlich die Anzahl von IngenieurInnen und TechnikerInnen, woraus eine Magnetwirkung auf Hochleistungstechnologien zugunsten dieser Länder folgt. Andere Industrien wie Kleidung sind bereits zu 90 % „außer Haus“ … weitere Bereiche folgen. Dies wird sich außerdem auf die sog. arbeitsbedingte Migration („Wanderarbeiter“) auswirken.

Inzwischen streitet Deutschland über die dritte Kommastelle bei “Hartz IV“. Dies lähmt die Politik und bindet damit administrative teure Ressourcen, verschärft durch Förderalismusstreit u.a. Geboten ist stattdessen absolute Konzentration auf Bildungsinvestitionen in der ganzen Bandbreite und zwar in Personen ohne Rücksicht auf Herkunft und Status, beginnend beim Kleinkind sowie in Institutionen und Einrichtungen von der Kleinkinderbetreuung bis ins universitäre Hightech-Center …

„Fiskalitäten“

Weniger überzeugend wirken präsentierte Begrifflichkeiten ab Seite 76 der Berliner Studie, wenn über finanzielle Aspekte referiert wird.

„Je höher das Einkommen, um so höher die zu entrichtenden Beiträge“ [S. 76 (OS 74) Sp.2 unten] – die Wissenschaftler nennen die Einkommensteuer (man schreibt sie übrigens nicht mit zwei „s“) „Beiträge“?

Die dort genannte Pflicht zur Entrichtung von Einkommen- vs. Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge setzen ein Beschäftigungsverhältnis mit tatsächlicher Lohnzahlung voraus und nicht „eine gelungene Integration in den Arbeitsmarkt“ – zwei völlig verschiedene Angelegenheiten.

Die „Ausgabenseite“ wird mit „Zahlungen aus den Sozialversicherungen“ und „Transfers wie Arbeitslosen- und Wohngeld“ vermischt. Arbeitslosengeld ist Teil der Sozialversicherung.
Korrekt werden dagegen in der BASS-Vorstudie [Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (BASS) Bern, S. 34] die Transferleistungen definiert, wobei die komplizierten Verhältnisse in Sachen Wohngeld im Ausland nicht so leicht zu durchschauen sind. Es wird unterschieden zwischen von „der Arbeitsmarktbeteiligung abhängigen Leistungen“ und „indirekt davon abhängigen“.

Differenziert formuliert die BASS-Vorstudie „Übernahme von Gesundheitskosten durch Krankenkassen“ unter Verweis auf Beitragsfinanzierung und andere Details. In der Berliner Studie wird diese Klarheit vermisst [S. 76 (OS 74) Sp. 3 unten].

Worin besteht der Zusammenhang von „denen, die über kein Einkommen verfügen“ [S. 76 (OS 74) Sp. 3 Absatz] und den „Pensionen“ für die der „Staat aufkommen“ muss?
Für Renten im Allgemeinen muss der Staat nicht aufkommen, sondern für nicht beitragsfinanzierte Leistungen, also systemwidrige Entnahmen einschließlich wiedervereinigungsbedingter Rentenzahlungen aus der „Beitragskasse“ der Rentenversicherung.
Ausschießlich aus Steuermitteln werden Wohn-, Kinder- und Erziehungsgeld aufgebracht. Ihnen stehen weder Beitragsleistungen noch Ansprüche aus Sozialversicherungen gegenüber.

Die Gesundheitsversorgung splittet sich in vom Staat geleistete Investitionen, Zuschüsse sowie in beitragsbasierte und beitragsfinanzierte Leistungen des Gesundheitswesens. Diese Mischfinanzierung in einem Atemzug, mit exklusiv vom Staat finanzierten Infrastrukturmaßnahmen des Gemeinwesens, mit Polizei und Landesverteidigung zu nennen, ist ebenso wenig überzeugend wie die Pauschalierungen bei Wasser- und Abwasserversorgung die teils gebührenbasiert, teilweise mischfinanziert und bei Investitionen weitestgehend aus Steuermitteln finanziert werden.

Die „Kostenbilanz eines Bürgers“ [S. 77 (OS 74) Überschrift] wird weder beschrieben noch dargestellt. Vermisst wird eine plausible Tabelle, die Abweichungen der Bilanzvergleiche zeigt.
Der Indikator Arbeit in volkswirtschaftlichen Rechnungen und ihrer Kennzahlen ist nicht nur eine Rechnungsgröße. Von Interesse ist auch die volkswirtschaftliche Nachhaltigkeit dieser ökonomischen Bedingung, die sich auf die Fiskalpolitik des Staates sehr erheblich auswirkt.
Absolut zutreffend fokussiert der Hinweis in der Studie auf sog. „versteckte Kosten“.

Versteckt sind jedoch ebenso die Erträge: Soll die Kosten-Nutzen-Relation „bilanziert“ werden, bedarf es eines „Eröffnungsbilanzwertes“ für das sog. „Humankapital“ und den zunehmenden darin enthaltenen Anteil an „Bildungskapital“, das erwachsene Zuwanderer bei ihrer Ankunft im Aufnahmeland einbringen. Diese „unentgeltlich erworbene“ [DIW Wirtschaftsforschung 71/2002, S. 262] Position gehört zur Gesamtrechnung der Zuwanderung und gestaltet den Saldo im Einzelfall nicht immer, jedoch in der Summe meist positiv. In Zeiten allgemeiner Kapitalnöte erweist sich Humankapital als deutlich weniger volatil!

Beim Vergleich der Inhalte der Arbeiten von „H.W. Sinn et al 2001“ und „von Loeffelholz et al 2004“ mit der Berliner Beschreibung (S. 78; OS 76) derselben, erweist sich die Beschreibung in der BASS-Vorstudie als zutreffender. Berlin vernachlässigt bei Sinn, dass sich das zunächst negative Ergebnis mit jedem weiteren Aufenthaltsjahr, also bei langfristiger Analyse, positiv verändere, was auch andere Autoren (z. B. H. Bonin) bei früheren Analysen berichteten.

Die BASS-Vorstudie bringt die verschiedenen personenunabhängigen staatlichen Fixkosten nicht durcheinander, obwohl die dortige Klammer „Solidaritätszuschlag“ bei den Kosten der Wiedervereinigung zu wenig erklärt (S. 13).

Für die USA-Auffassung [S. 78 (OS 76) Spalte 3], dass sich Zuwanderung immer lohne, im Kontrast zu vorwiegend deutschen Auffassungen, spricht nicht nur, dass wesentliche Produktivitätsunterschiede sich nicht per se mit Herkunft bzw. Abstammung begründen lassen.

Die deutsche Auffassung, dass das untere Lohnsegment von geringerem volkswirtschaftlichen Nutzen sei, kann allenfalls marktwirtschaftlich weniger bedeutende fiskalische Rechnungen stützen.
Diese verkürzte Sichtweise zeigte sich jüngst ebenso wie in den Wirtschaftswunderzeiten: Eine hochorganisierte Volkswirtschaft kommt in Schwierigkeiten, wenn Lücken in personellen Voraussetzungen arbeitsteiliger Organisation bestehen. Insofern ist volkswirtschaftlicher Nutzen nicht ausschließlich daran zu orientieren, dass dort nur 100 € Lohnsteuern dem Fiskus zufliesen, während in den anderen Stufen vier- oder fünfstellige Beträge geleistet werden. Der Nutzen für die arbeitsteilig funktionsfähige Volkswirtschaft bedarf anderer Bewertungskriterien.

Die sog. Bildungsinvestitionen für Migrantenkinder sind nicht grundsätzlich aufwendiger als für Einheimische. Gemeint, leider nicht formuliert, ist der Nachholbedarf, der immer aufwendiger wird. Versäumnisarm gesteuerte Bildung z. B. von türkischen SchülerInnen deuten eher auf das Gegenteil. Sie zeigen im Vergleich zu Einheimischen teilweise sogar bessere Ergebnisse.

Sind Ideal-Erwerbsbiografie-Muster wie „im Durchschnitt entrichten Arbeitnehmer 45 Jahre lang Steuern und Versicherungsbeiträge“ (S. 77; OS 75), nicht längst absolute Vergangenheit, soweit es sich nicht um „Beamte auf Lebenszeit“ handelt? Erst am Ende des Abschnitts wird dem widersprochen. Warum nicht gleich objektiv – etwa bis Mitte der 80er Jahre wurde von … ausgegangen …?

Personen in Migrantenhaushalten sind mit etwa 34 % (Einheimische bei rd. 10 %) weit überdurchschnittlich vom Armutsrisiko, vor allem seit 2000 um das Doppelte ansteigend, betroffen. Ihre Einkommensposition verschlechterte sich kontinuierlich, insbesondere bei der zweiten Generation und bei Personen mit nichtdeutscher Staatsbürgerschaft. Vielfältige Ursachen sind verantwortlich, wie zu geringe Ausbildung, über Diskriminierung am Arbeitsmarkt bis hin zur fehlenden Integration in soziale Netzwerke des Aufnahmelandes.
Der Indikator „Diskriminierung“ fehlt in der Berliner Studie, obwohl der Tatbestand den Autoren als durchaus gravierend bekannt ist.

Schlussendlich sind aus 2005 resultierende „Ergebnisse von der konjunkturellen Talsohle des Jahres 2005 geprägt“ (Integrierte Analyse der Einkommens- und Vermögensverteilung DIW Berlin /ZEW Mannheim, Dez. 2007).

Mikrozensus-Zensuren

Mikrozensus beruht, wie auch die Studie informiert [S. 13; OS 11], auf formalisierten Befragungen. Die Teilnahmepflicht ist gesetzlich geregelt und bußgeldbewehrt. Beim individuellen Ausfüllen der Bögen steigt kaum die Begeisterung und Antworten fallen oft entsprechend bzw. ganz (Unit-/ Item-nonresponse) aus. Interviews und persönlich erhobene Daten wurden erstmals flächendeckend per Laptop dokumentiert. Dennoch gibt es Grauzonen (z. B. Thema Schwarzarbeit) und sehr anfällige Bereiche wie z. B. die Schülerbefragung (15-19 Jährige).

Der allgemeingültige Mikrozensus wird in der Studie als absolute Gewähr präsentiert. Wie schon erwähnt, wurde das Mikrozensusverfahren 2005 revisiert und strukturell um „Migration, Integration und Kinderbetreuung“ ergänzt. Solche Umstellungen sind bekanntlich nie problemlos.

In der Studie und in „Die Zeit“ (27.01.2009*) werden 800.000 Befragte erwähnt. Dieser Sollwert wird in der Anzahl der sog. Datenprofile faktisch in keinem Fall zu 100 % erreicht. Zum SUF-Extrakt der Rohdatensätze gibt’s andere Informationen über deren Anzahl, was hier jedoch nicht der Vertiefung bedarf.

Quer durch alle Schichten und Gruppen hält sich das Gerücht, dass man den Statistikern in den Antwortbögen schon die „richtige“ Antwort geben werde, was plausibel gestaltete Fragebögen abzuwehren versuchen. Bei „sensiblen“ Fragen bzw. Daten, die je nach Befragtensituation sehr unterschiedliche Betroffenheiten zeigen, führt das bis zu 25 % kaum verwertbarer Daten.

Das durch Statistikämter streng methodisch erhobene und gesichtete Stichprobenmaterial ist nicht ohne Tücke. Die Auswertungsergebnisse werden soweit möglich mit anderen Daten (z. B. Statistik der Sozialversicherungen; Behördenregister wie z. B. Ausländerzentralregister) verglichen, um die Plausibilität zu prüfen. Wer jemals solchen „toten“ Datenbergen durch Aufschlüsselung und Detailausforschung versuchte „Leben“ einzuhauchen, hat seine eigene Meinung über diesen Wirkungsbereich.
InterviewerInnen, Art- und Verfahren des Interviews, Messgeräte und UntersucherInnen selbst sind entscheidende Einflussfaktoren auf Messung und Messergebnisse, was außer Frage steht und dennoch gerne ausgeblendet wird! Zeugnisnoten aus Schulbesuch demonstrieren solche viel zu häufigen persönlichen Erfahrungen vieler Menschen.

Bekanntlich erfordern solche Daten oft Korrekturen bis hin zur ersatzweisen Schätzung bzw. Interpolierung, proportionalen Verteilung, Kalibrierung etc., um eine plausible Basis zu erstellen.

Darüber, wie hier die Studienergebnisse zustande kommen, fehlt es an konkreten Beispielen, geschweige denn sind Tableaus aus der Datenverdichtung verfügbar.

Vom Blick aus Absurdistan in die Ferne der Bildung

Die Sache mit der „Bildung“ wird landläufig und vielfältig nahezu regelmäßig diskreditiert.
Solange in sehr vielen türkischen Familien die Unterhaltssicherung im Vordergrund steht, mit zwei bis drei Jobs und damit 12 und mehr Stunden arbeitstäglich fremdbestimmt sind, ist es eben nicht eine Frage des Willens. Diese im Mikrozensus nicht erfassten kleinen Jobs bleiben also im Faktum als auch in Auswirkungen außen vor.

Die erwähnte Situation zeigt sich vergleichsweise deutlich bei InländerInnen, die per Geburt in die Vorteile des Bildungssystems integriert sind. Statistisch erscheinen sie kaum „bildungswilliger“ als vergleichbare Migrantengruppen. Dennoch faseln viele Inländer gerne von der „Bildungsferne der Anderen“.

Zeigt sich die sog. „Bildungsferne“ wirklich so stark herkunftsspezifisch – oder sind es Gegebenheiten im Zielland, die sich primär sozial auf MigrantInnen auswirken?

Natürlich wirken zu geringe (Zweit-)Sprachkenntnisse als Hauptbremse integrativer Orientierung. Im Gegensatz zur Grafik dazu auf Seite 83 (OS 81) ist festzustellen, dass Vorurteile schichten- und herkunftsneutral und wie die Wissenschaftler mit dieser Studie beweisen, auch bei angeblich „hoch Gebildeten“ dominieren, die das gerne sprachgeübt verschleiern unter Allgemeinplätzen, Verallgemeinerung, Pauschalierung und selektiver Betrachtung usw. Aber einem Wahl-SOEP zum Jahr 1998 / 2000 ist zu entnehmen, dass z. B. türkischstämmige Befragte die REP’s bei wenigen Ausnahmen mit 0 % beachten. (Ca. 6 % der Befragten verweigerten zu diesen und anderen Einstellungen grundsätzlich jedwede Antwort.) In der Zeitreihe 1975 bis 1999 stiegen Einbürgerungszahlen von türkischen MigrantInnen auf 400 % an – zwar eine steigerungsfähige Zahl, aber sie war schon damals ohne Beweiswert für grundsätzliche „Unwilligkeit“.

Die Grafik auf Seite 83 (OS 81) ist optisch auffällig. Noch auffälliger ist die damit präsentierte individuelle Schuldzuweisung mit der widersprüchlichen Pfeil-Folge „schwache Bildungsleistung“  „Jobs unter dem Bildungsniveau“. Den „Eingängen“ im ersten horizontalen Block fehlt außerdem ein sehr wichtiges Element wie etwa „Distanz / Vorurteile der Aufnahmegesellschaft“ mit entsprechender Pfeilfolge. Dies fehlt ebenso im letzten horizontalen blau gefärbten Block.

Schnell werden bei oberflächlicher Betrachtung Ursache und Wirkung verwechselt oder zumindest einseitig fokussiert und im Denken irreführend kanalisiert.

Wirkung defizitärer Grundsituationen ist das Absinken von Interesse an zielgerichteter Verfolgung neuer Informationen. Deren sogar schichtenneutrale Ursachen sind aus sozialisationsbeobachtender Sicht fast immer „soziale bzw. psychosoziale Störungen“ – egal durch welche Details verursacht. Sie bewirken auf der Bildungstreppe anfängliches Stolpern, dem meist der Rutsch nach unten statt „der Fahrstuhl nach oben“ folgt.

Subtile, bei wenig aufmerksamer Beobachtung verschleierte Einbrüche, reihen sich kettenartig. Die psychosoziale Bilanz ist nicht ausgeglichen. Verfügbare, jedoch stark suboptimale Surrogate täuschen das Realitätsbewusstsein. Zunehmend sich verstärkende defizitäre Phasen hemmen die für aufmerksames interessiertes Lernen wichtige freie Entfaltung. Lernen kann und muss nicht immer Spaß machen, aber Befriedigung durch Anerkennung und daraus erlebten Erfolg bringen. Fehlt das, schließt sich der destruktive Kreislauf. Statt Autonomie, die später über Frustrationen aller Art hinweghelfen kann, breiten sich Leere, Versagensängste bis hin zur Aggression aus. Vor allem junge Menschen sind innerpsychisch noch nicht ausreichend organisiert, um Strategien dagegen zu halten.

Wie die Studie richtig auf schulische Ganztagseinrichtungen [S. 86 (OS 84) Sp.3] hinweist, schaffen sie über die Zeitachse den sonst fehlenden Ausgleich durch ihre Strukturen und Angebote. Einen Ausgleich, den viele aus genannten Gründen zuhause nicht oder zu selten erleben, der nachhaltiger wirkt, wenn ihm Kindergarten bzw. Kindertagesstätte vorausgehen.
Darauf verweist die Studie [S. 85; OS 83] am Beispiel Frankreich sehr einleuchtend. Wer jedoch diesen Bereich genauer beobachtet, wird ihn nicht auf MigrantInnen beschränken, was andere Daten aus der Bildungsforschung belegen. Ganz nebenbei werden häusliche Bedingungen entlastet, (Wieder-)Eintritt in die Arbeitswelt und tendenziell eher verbesserte Verhältnisse in diesen Familien wahrscheinlicher. Es sprechen alle Anzeichen dafür, dass dieser Weg auch volkswirtschaftlich den größten Benefit zeitigt.
Dazu sollte der deutsche Pass nicht zwingend notwendig bzw. Voraussetzung sein.

Die soziale Situation und der deutsche Pass dürfen jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass es daneben gewichtige Faktoren gibt, die von der Mehrheitsgesellschaft und ihren Protagonisten, wie auch von den Studienautoren unterbewertet, manchmal sogar geleugnet werden. In der Studie kommt der Begriff „Diskriminierung“ nur einmal [S. 12 (OS 10) Sp.3 unten], jedoch nicht zustandsbeschreibend, vor. Versteckt gibt’s dennoch einen Hinweis: „ … aufgrund ihres Aussehens häufig nach wie vor als Ausländer TAXIERT“ [S. 11 (OS 9) Sp. 1].

Kontrastierende Streiflichter aus anderen Studien und Veröffentlichungen (11, darunter Auswertungen von FS-Zeit- und FS-Zahlenreihen bei destatis; OECD, Esser, Geißler, ZUMA, PISA, IGLU u.a.) weisen auf die von türkischen MigrantInnen immer wieder beklagte offene oder teils subtile Diskriminierungen (persönlicher wie institutioneller Natur), deren Hintergrund u.a. auch als schichtenspezifisch identifiziert wird:

  • „2006 verfügen die Nachkommen der türkischen Migranten (63 %) fast dreimal so oft wie Einheimische der gleichen Altersgruppe (23 %) über einen Hauptschulabschluss“ [Datenreport 2008]; aber deutlich weniger höherstufige Bildungsabschlüsse [APuZ Dez. 2008];
  • Studienberechtigte aus Migrantenfamilien beginnen inzwischen häufiger mit einem Studium als Einheimische [APuZ Dez. 2008];
  • „schlechten Bildungschancen der Migrantenkinder nur teilweise auf ihre Kompetenzdefizite zurückzuführen“ [APuZ Dez. 2008]
  • Migrantenkinder „mit unzureichender Förderung und Diskriminierungen in den Schulen“ [APuZ Dez. 2008]
  • empirisch belegt ist, dass Migrantenkinder in der Grundschule bei gleichen Testleistungen etwas schlechtere Noten erhalten[APuZ Det. 2008];
  • mit schlechteren Noten gelingt es „Lehrkräften und Schulen, sich ihrer Problemkinder zu entledigen“ (institutionalisierte Abschiebemechanismen);
  • „ … im Kampf um die knappen Lehrstellenplätze seit Mitte der 1990er Jahre sind die Migrantenkinder die Verlierer …“ (wegen Problemen in Bildungsabschlüssen) [APuZ]
  • werden Deutsche mit gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt, erfahren türkische MigrantInnen zusätzlich Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt. [Gestring et al, Prozesse der Integration und Ausgrenzung. Türkische MigrantInnen der zweiten Generation]

Die Studiendiktion schreibt türkischen MigrantInnen die Verantwortung für angeblich „missglückte“ Integration zu, obwohl gleichzeitig auf jahrelange politische Versäumnisse und Verweigerungen hingewiesen wird. Kein Wort über die Addition gesellschaftlicher und institutioneller Diskriminierung mit daraus folgender progressiver Wirkung, die geringfügige Vorsprünge wieder einebnet. Stehen hinter jungen MigrantInnen nicht mental und finanziell durchsetzungsfähige Eltern bzw. Verwandte, haben sie bereits aus strukturellen Gründen verloren, wenn ihnen der bärenstarke Wille, es trotzdem zu schaffen, fehlt.

Zu wenig Kindereinrichtungen, geschlossene Jugendzentren, abbruchreife Schulgebäude, von den Bedingungen frustrierte LehrerInnen – wir sparen, „koste es, was es wolle“. Der Aufwand für den justiziellen Verfolgungs- und Repressionsapparat für die Stolper-Unfälle von Jugendlichen verschleiert sich im großen Justizhaushalt der Länder. Kürzlich regierungsamtlich favorisierte Tagesmütter und Integrationskurs-Lehrkräfte klagen über staatlich suboptimal geregelte und defizitäre Bezahlung. Dies untergräbt die Nachhaltigkeit regierungsseitiger Bemühungen. Darüber grobe „Indikatoren“ zu stülpen und als Erklärungsmuster zu benutzen, bewirkt wenig, allenfalls Empörung.

Mit null Ahnung wird landläufig verkannt, dass selbst in einfachsten Berufstätigkeiten sehr viele jüngere ausländische MitarbeiterInnen „3-sprachig“ agieren. Junge türkische MitarbeiterInnen beherrschen zunächst Zweit- und Drittsprache zwar weder systematisch noch vollständig. Sie lernen jedoch extrem schnell und sind sehr wohl stark interessiert, wenn Personen der Umgebung und ihre Art des gemeinsamen Umgangs, vor allem auch bei der Erwerbstätigkeit, stimmen.

Hier ist oft eine deutliche Realitätsdifferenz zur vergleichbaren Gruppe junger Deutscher zu beobachten, die an ihre Bildung glauben, jedoch nicht realisieren, wie dürftig ihre Basis oft gegenüber ausländischen Altersgenossen tatsächlich ist.

Wer „Bildung“ ausschließlich mit Werten aus Choice-Verfahren- und Zeugnisnoten definiert, muss von vielen großen Figuren der Kultur und selbst der Wissenschaft Abschied nehmen. Die BASS–Vorstudie formuliert auf [Seite 38 Nr.7.1]: „Integrationswirkungen“ etwa durch das „Bildungssystem“ – das kommt in der Berliner Studie gar nicht vor. Stattdessen plakatiert sich die „schlechte“ Bildung [S. 83 (OS 81) Sp. 1 Text zur Grafik]. Wo die BASS-Vorstudie konsequent über Bildungsabschlüsse referiert, pauschalieren die Berliner über „Bildung und Arbeitsmarkt“ [S. 31; OS 29], wobei „Unqualifizierte als häufiger Kostenfaktor der Gesellschaft“ qualifiziert werden …

Dass „bessere“ Bildungsabschlüsse weniger anfällig für Arbeitslosigkeit machen, wird zwar allseits postuliert. Möglicherweise ist dies nur noch bei spezialisiertem bis hoch spezialisiertem Wissen und Fertigkeiten die Realität. Werden in globaler arbeitsteilig organisierter Wirtschaft strukturelle Änderungen und Anpassungen notwendig, schützt weder bessere Ausbildung noch Herkunft im früher gewohnten Maße vor einschneidenden Veränderungen bis hin zur Arbeitslosigkeit. Vielleicht helfen bessere Voraussetzungen, wie z. B. eingeübtes Lernen, für die dann notwendige und erfolgreiche Anpassungsfortbildung, um in anderen Bereichen und Ebenen überhaupt wieder Arbeit zu finden.

Zum Jahr 2005 referiert die Studie zu Abitur bzw. Hochschulreife „bis hin zu einer glatten Verdopplung der Quote bei Personen türkischer Herkunft“ [S. 9 (OS 6) Sp.3 oben und S. 35 (OS 33) Sp. 2 unten]. Bereits für das Jahr 2000 sind Zahlen verfügbar: „Türkischstämmige deutsche Staatsangehörige (Daten von 1200 Befragten) im Alter von 18-30 Jahren, von denen 80 % hier geboren wurden. Sie erwerben häufiger das (Fach-)Abitur als diejenigen, die formell Ausländer sind. Diesen Abschluss haben:

  • 14,5 % der TürkInnen,
  • 20,4 % der türkischstämmigen Deutschen,
  • 20,8 % der deutsch-türkischen Doppelstaatler.

Wer türkischer Abstammung ist, hat geringere Chancen auf eine erfolgreiche Bildungsabschluss-Karriere – und zwar unabhängig von formeller Staatsangehörigkeit oder anderen untersuchten Faktoren. [Integrationssurvey (BiB), Susanne von Below (DGS), JWG-Uni Ffm, 02.02.2004]. Im Mikrozensus 2007 von Österreich ist eine Verbesserung der Situation nicht erkennbar, was auch für die BRD zu erwarten ist. Analyse und Fördermaßnahmen-Konzepte sind noch lange nicht optimal. Einerseits ist es angebracht, Mikrozensus und SOEP (sozio-oekonomisches Paneel) besser zu verflechten, andererseits ist vor allem vielmehr anerkennende Zusammenarbeit mit Betroffenen das Wichtigste.

Statt das im deutschen Umfeld vielschichtige Wort „Bildung“ bietet sich an, ausschließlich (!) zu formulieren, was gemeint ist: Bildungsabschluss oder „institutionelle Bildung“. Dies ist sachgerecht [siehe S. 38 (OS 36) Sp.3] und wirkt fair gegenüber den Untersuchten.

Gering gebildete Menschen aber hoch gebildete Studienautoren?

Aufschlussreich charakterisieren sich die (akademischen) Autoren dieser Studie selbst: „Menschen mit einem Hochschulabschluss sind meist offener, innovativer und sozial aktiver als gering Gebildete“ [S. 32 (OS 30) Sp. 3] – ist das die deutsch-akademische Parallelgesellschaft im Berliner Institut?

Andere Signale sind einer mehrfach auf belastbare Antworten konzeptionierten Studie der Sozioloen Dollase und Koch zu entnehmen. 87% der befragten Studierenden (n = 526) stuften sich selbst als ausländerfreundlich ein. Einheirat eines strenggläubigen Muslim in die eigene Familie lehnten aber gleichzeitig 40% von ihnen strikt ab. „Fremdenfeindlichkeit muss gesellschaftlich gelöst werden“ lautet das Credo in Politik und bei intellektuell ausgerichteten Gruppierungen aber es korreliert mit größerer eher verdeckter Fremdenfeindlichkeit, selbst bei jungen Studierenden.“ „In unterschiedlichen Stichproben variiert das Ausmaß des (priaten) Kontaktwunsches zu Muslimen zwischen 15 und 50% und das Desinteresse zwischen 40 und 15%. [Prof. Dollase/Dr. Koch, 2006 Wiesbaden].

Wer zu verschiedenen Bevölkerungsgruppen objektiv sozialen Nah-Kontakt pflegt, wird sich diesem akademischen Zirkelschluss diametral verweigern. Gleichzeitig wird der geneigte Beobachter unter diesem Aspekt nachfolgend genannte Begrifflichkeiten einzuordnen wissen.

Nicht sachgerecht ist und reichlich unfair wirkt das Vokabular, mit dem die Wissenschaftler über Menschen berichten, wenn die Rede ist, von

  • „schlechter“ Bildung,
  • „gering Gebildete“ im Gegensatz zu „hoch Gebildete“ [S. 56 (OS 54) Sp.2 Mitte],
  • „niedrigen Bildungsniveau“ [S. 55 (OS 53) Sp.3 Mitte],
  • Vier Zeilen später wird fest gestellt, dass es trotzdem „relativ viele nicht erwerbtätige Akademikerinnen“ gibt. Oder
  • „gering gebildete Eltern“ [S. 83 (OS 81) Grafik],
  • „gering gebildete (Gast-)Arbeiter“ [S. 84, (OS 82) 2. Absatz].

Endgültige Aufklärung erfährt der Leser auf Seite 93 (OS 91) unter Bildungsniveau, wer „hoch, mittel oder niedrig“ Gebildete(r) ist. Nicht eine von vielen anderen Veröffentlichungen konfrontierte den Beobachter mit der hier kritisierten durchgängigen Rhetorik und Diktion!
Bleibt zu hoffen, dass der Migrationsbeauftragte im Berliner Senat nur die Migrations-Indikatoren und nicht die Personen „von gut bis schlecht“ skalieren will. [Projekt I3, 2007, a. a. O.]

Dies alles reizt zur Frage, wie „NIEDRIG“ ist etwa eine 75 Jahre alte Person ohne Schulabschluss, die einen auf 1800 m liegenden Bergbauernhof betreibt und Fragen städtischer WissenschaftlerInnen über Wetter, Vegetation, Tierwelt, Flächenbewirtschaftung und Milchwirtschaft usw. beantwortet ?

Insgesamt deutet dieser Sprachgebrauch auf allseits verbesserungsfähiges Bewusstsein.

Wie zuvor begründet, sollte folgerichtig der Indikator statt Bildung nunmehr Bildungsabschluss genannt werden. Spätestens seit Humboldt wird unter Bildung weitaus mehr als formalisiertes Wissen verstanden. Das Internetzeitalter wird Bildung mehr mit analytischen prozessorientierten Fähigkeiten definieren und so zu neuen Chancen auf breiterer Basis führen. Der statusorientierte Bildungsbürger mit vorwiegend systematischem oder gar lexikalisches Auswendiglernen ist ein Relikt der Vergangenheit geworden.

Des Weiteren führt dies zur Frage, von welchem Menschenbild die hoffentlich immer „nüchternen“ [S. 6; OS 4] Untersucher dieser Studie und die vielen anderen Statistiker und Interpretatoren solcher Sprachgebräuche geprägt sind.

Was mit einem bewusstseinsarmen Sprachgebrauch ausgelöst wird, demonstriert das überwiegend wenig konstruktive Presse- und Meinungsecho mit zahlreichen unfreundlichen Bemerkungen über „integrationsunwillige“ Türken.

BILDUNGSrepublik statt „Luxus“ ?

Beim Studien-Klagelied ohne konkrete Hinweise, ob überhaupt Möglichkeiten zur Abhilfe bestehen, wurde versäumt, eine Liste beizufügen, die in einzelnen Bereichen Projekte und Maßnahmen zur Abhilfe aufzählt. Das Medien- und Presseecho hätte diese Informationen in die Republik transportiert und die Studienautoren in glaubwürdigerem Licht erscheinen lassen. Hier sollen kurz im Bereich Bildung jüngste Planungen und Maßnahmen des Bundes und der Länder erwähnt werden. Es ist zu erwarten, dass im Blog-Diskurs weitere Hinweise zu den dort schon bestehenden auftauchen.

Die PISA-geschockte Republik soll qualitativ und quantitativ zur „BILDUNGSREPUBLIK“ (Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel am 12.06.2008: „Chefsache“) mit flächendeckenden Internetzugangsmöglichkeiten reifen. Bundesforschungsministerin, Frau Dr. Annette Schavan sagt: „Der wichtigste Rohstoff des 21. Jahrhunderts ist nicht das Öl oder die Kohle unter der Erde – es ist das Wissen in unseren Köpfen“ (PM, BMBF).

Angesichts des ab 2015 bis 2020 vermutlich deutlichen Rückganges von Erwerbspersonen, können wir uns den „Luxus fehlender Qualifikationen“ nicht mehr leisten. Deshalb soll die sog. „Zweitförderung“ und nicht nur die bisherige „Erstförderung“ nahezu gleichberechtigt etabliert werden, worauf sich auch die Diskussion am 12.02.2009 im Bundestag bezog.

Hinzuweisen ist auf den Entwurf des seit Juli 2008 in Beratung befindlichen „zweiten Gesetz zur Aufstiegsfortbildungsförderung (AFBG)“ [Entwurf BT-Drucksache 16/10996 vom 20.11.2008; beschlossen am 12.02.2009]. Der neu gefasste § 8 bezieht „ausländische Fortbildungswillige“ ein, die 4 Jahre in Deutschland leben, eine dauerhafte Bleibeperspektive und andere Voraussetzungen haben.

Bundesländer und Bund verständigten sich am 22.10.2008 auf eine umfassende Qualifizierungsinitiative. Ein Teil davon ist die „Initiative zur Förderung leistungsschwächerer Schülerinnen und Schüler“ als „2. Chance für Jugendliche ohne Abschluss“ („Altbestand“ ca. 240.000; jährlich ca. 80.000 Schulabgänger mit Lücken oder ohne „Papier“).
Unter dem Motto „Aufstieg durch Bildung“ (S. 10/11) werden im Absatz „3. Schul und Berufsabschluss“ für MigrantInnen eine Sprachförderung und Maßnahmen bis zur Berufsreife vereinbart. Das sich zunehmend etablierende Projekt des Volkshochschul-Verbandes mit kostenloser Lernplattform (www.zweite-chance-online.de), teilweise kombinierbar mit berufsbezogenen Übungen und örtlichem Unterricht, gibt es schon.

Nachstehend erwähnte Maßnahmen konzentrieren sich auf Menschen ohne oder mit nicht ausreichenden Bildungsabschlüssen. Neben Lehrlingen und jungen Menschen über 25 Jahre, sollen vielfältige Maßnahmen und Förderungen außerdem (Langzeit-) Arbeitslose, Alleinerziehende und MigrantInnen für die Weiterbildung gewinnen. Für 2009/2010 enthält das (erneut sich verzögernde?) Konjunkturpaket II rd. 2 Mrd. Euro für Bildung.

  • Auf „Bildung durch und mit dem Internet“ zielen Aktivitäten wie z. B. „EPITOME“, das Grundkenntnisse zum Leben und Arbeiten in kleinen Lerneinheiten mit Ãœbungen vermittelt. Es ist Teil des EU-Programm „Leonardo da Vinci“ als E-Learning-Programm des Projekts „epitome – e-learning promoting the integration of migrant workers“. Daran beteiligen sich RKW und DGB und acht Partner aus Tschechien, Polen, Lettland, Frankreich und England. Nähere Informationen über www.bildungsspiegel.de
  • Die Förderung, nunmehr gemäß EU-Recht, soll MigrantInnen, ErzieherInnen und AltenpflegerInnen bisher versagten Zugang zu unterschiedlich strukturierten Fortbildungsabschlüssen ermöglichen. (www.meister-bafoeg.info/ ; ebenso Studentenwerke, Handwerkskammern u.v.a. Organisationen) Das bisherige „Meister-BAföG“ wird nach Bundestagsbeschluss vom 12.02.2009 ein allgemeines „Erwachsenen-BAföG werden.
  • Das Bundesbildungs- u. Forschungsministerium ermöglicht den Zugang zur Studierendenförderung für begabte MigrantInnen mit Hochschulabschluss (AKP).
  • Ãœber die „Stiftung Begabtenförderungswerk berufliche Bildung GmbH (SBB)“ sind Stipendiate möglich für Berufstätige unter 25 Jahre mit besonders qualifiziertem Berufsabschluss.
  • Parteinahe Begabtenförderungswerke wie z. B. die Friedrich-Ebert-Stiftung (fes.de) mit dem Programm: „Soziale Benachteiligung soll gemindert werden, daher richtet sich das Förderangebot besonders an Studierende und Nachwuchswissenschaftler/-innen aus einkommensschwachen Familien sowie an Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund.“
  • Bundesweit stehen weit über 75 Stiftungen zum Bereich „Bildung und Ausbildung“ mit unterschiedlichen Förderprogrammen zur Verfügung.
  • Am 16. September 2008 hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) ihr neues durchaus sehr empfehlenswertes Internet-Angebot für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I gestartet: www.planet-beruf.de (Such-Empfehlung: Migration).
  • Integration durch Qualifizierung (IQ) als Netzwerk (www.intqua.de von zwh) verweist auf andere gute Adressen
  • Allen „schlecht-Rednern“ über „unwillige“ türkische Migranten erteilt der Integrationsatlas des Handwerks (ZHW / ZWH: www.zdh.de www.zwh.de Such-Empfehlung: Migration) deutliche Abfuhr allein durch Auflistung und Nachweis von Aktivitäten „von, durch und mit“ dieser Bevölkerungsgruppe. Wer allerdings Beweise für „missglückte Integration“ sucht, wird grob enttäuscht.
    In unkomplizierter direkter (manchmal noch entwicklungsfähiger) Sprache sind sonst nie zu findende Hinweise zu entnehmen:
    -„wir kommen an die Unqualifizierten kaum ran“
    – über Migrantenjugendliche: „sind hier ROHDIAMANTEN verborgen.“
    – „DER MEISTER DER ZUKUNFT IST EIN TÃœRKE“ (ein Usta)
    Integrationsatlas des Handwerks der lokale Aktivitäten zu Beruf und Bildung im Bereich des Handwerks registriert betriebliche, außerbetriebliche und sog. Nach- und Aufstiegsqualifizierung, wobei „Vergleichsweise am häufigsten wurden die Herkunftsländer Türkei …“ von Bildungsinstituten genannt werden. Die „ZWH – Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk e.V.“ bietet außerdem auch „E-Learning im Handwerk“ an.
  • Der neue Studiengang „Interkulturelle Bildung und Beratung“ der Universität Oldenburg bietet qualifizierten MigrantInnen mit diesem verkürzten Bachelor-Studiengang einen anerkannten Abschluss an.

Schlussendlich soll der Hochschulzugang ohne Abitur für qualifizierte Berufstätige in 2010 bzw. 2011 erleichtert werden.
Seitens engagierter Personen und Institutionen (z. B. DGB, RKW, SBB, Volkshochschulverband) wird ein „Erwachsenenbildungsgesetz“ gefordert, das alle Gesetze u.ä. als Programm der Zukunft statuieren soll. Dabei sollen aufenthaltsrechtliche Fragen als Zugangs- oder Förderkriterium möglichst wenig bedeutend sein, vor allem nicht beim Nachholen eines Schulabschlusses.

Assimilieren oder integrieren?

Der Versuch, das in der Studie aufscheinende Fremd(e)Wort „Assimilation“ zu überprüfen, stieß auf unerwartete Schwierigkeiten. Das ministrable Staatsbürger-Taschenbuch – wie unser Expediturgehülfe versicherte- sei wutschnaubend nach Berlin geeilt, hastig gefolgt vom Fremdwörter-Duden. Und jetzt, wie aufklären, wie verstehen möglich? Ja doch, Hilfe leistete der kleine Duden-Bruder „Etymologie“, der schreibt: das Wort Assimilation stamme aus dem 18. Jh. und habe lateinische Vorfahren (assimilatio). Naja, da waren wir am Ende mit unserem Latein …

In der im Spiegelheft Nr. 5/26.01.2009 (*) veröffentlichten Grafik (des Instituts?), springt beim Aufblättern der Seite 33 plakativ das völlig „vergessene“ Fremdwort ins Auge, nein ins vielleicht schon prä-alzheimerisierte Gehirn: „Assimilation“!
13-mal erscheint, teilweise sehr plakativ, das Wort ASSIMILATION in der Studie, unter dem auch eine HWWI-Studie genannt wird.

Die HWWI-Studie zeigt, um es kurz zu formulieren, u.a. Vorteile deutscher Staatsbürgerschaft im Erwerbsleben von MigrantInnen auf. Im „HWWI-focus-Migration“ erscheint weder in der Studie noch in zahlreichen anderen eingesehenen Dokumenten dieses Wort, allenfalls im Literaturverzeichnis fremder Dokumente. Stattdessen wird dort plakatiert: „kulturelle Vielfalt der Bevölkerung (hat) positive Auswirkungen auf die Entwicklung der Wirtschaft in Deutschland“.

In regierungsamtlichen Dokumenten, Verlautbarungen und Informationsmaterialien wird erstaunlich konsequent jedwede Redewendung von Assimilation u.ä. Begriffen vermieden und primär mit konstruktiv besetztem Begriff „Integration“ agiert.

Dies kann am Beispiel von www.migrations-info.de demonstriert werden. In diesem Web-content mit ca. 1000 Seiten erscheint in der Volltextsuche 12-mal der Begriff Assimilation (1x als Definition, 4 x im Literaturnachweis, 2 x CDU-Papier, Rest Ausland, Tagungen u.ä.), dagegen der Begriff Integration 482-mal.

Es wird dabei vom „langfristigen“ und wechselseitigen Prozess der Integration, als ein alle Beteiligten betreffendes Geschehen ausgegangen, auch wenn dies noch nicht alle „Strömungen“ in der Republik ins eigene Alltagsleben aufgenommen haben.
Der Parlamentarische Staatssekretär BMI, Herr Altmaier, spricht vom Dissens zum Begriff „Assimilation“, den er offensichtlich als brauchbaren termini technici für analytische Verfahren reserviert. [Senat Berlin, Projekt I3 Indikatoren für die Zuwanderung, 2007].

Interessant ist auch die Spiegel-Interpretation [Spiegel Nr. 5, S. 33 Spalte 1 Mitte], die zitiert „… eine Bevölkerungsgruppe in der deutschen Gesellschaft (siehe Grafik) verankert ist.“ Diese „Verankerung“ interpretiert bzw. zitiert der Spiegel in der Grafik kritikfrei mit „Assimilation (= Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft, bikulturelle Ehen)“ sowie mit „Erwerbsleben, Bildung, Absicherung, Dynamik“, wobei die Erläuterungen dieser Indikatoren gewisse Überlappungen zeigen.

Eine OECD-Studie in 2005 zur „Arbeitsmarktsituation von Zuwanderern in Deutschland“ problematisiert eingangs „wobei diese Konvergenz (=Annäherung, Übereinstimmung von Meinungen und Zielen) nicht zwangsläufig eine Aufgabe der kulturellen oder religiösen Werte des Ursprungslandes impliziert. Am anderen Ende des Spektrums steht das wesentlich breiter gefasste Konzept der Assimilation, d.h. der Übernahme der Werte und Überzeugungen des Empfangslandes“. Auf 62 Seiten wird der Begriff Assimilation nur in diesem Zitat verwendet.

Die frühere, in Deutschland politisch mit Dominanzkultur besetzte Agitationsvokabel „Assimilation!“ und „GAST-Arbeiter!“, wurde programmatisch kommuniziert. Durch diese als „Ultima Ratio“ postulierten Auffassungen gerieten ganze Generationen und damit auch deren Potenziale ins Abseits. Die Studie rechtfertigt auch den Begriff Ausländer (ca. 37-mal incl. Statistiken u. Fremdliteratur) wegen „soziale(r) und ökonomische(r) Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund“ [S. 11 (OS 9) Sp. 1]. Andere Autoren distanzieren sich eher vom „inzwischen überholten Ausländerbegriff“ (Geißler / Menges). Ebenso gibt’s in der Studie nur EU-Ausländer statt Unionsbürger [S. 53 Sp.1] …

Passend dazu die drastische Studiendiktion von „Parallelgesellschaften“ (15-mal genannt)

  • „im schlimmsten Fall der Gemeinschaft gegenüber feindlich gesonnen“ [S. 6 (OS 4) Sp. 1 unten];
  • „die Unterschichten der Großstädte konzentrieren“ [S. 6 (OS 4) Sp. 1 unten];
  • „93 Prozent der in Deutschland geborenen Verheirateten führen eine Ehe mit Personen der gleichen Herkunftsgruppe. Parallelgesellschaften, die einer Angleichung der Lebensverhältnisse im Wege stehen, sind die Folge“ [S. 9 (OS 7) Sp. 3 Mitte];
  • „… Gefangene in ihren eigenen Parallelgesellschaften Im schlimmsten Fall beschädigen sie als Bildungsverweigerer, Straftäter oder Personen mit staatsfeindlichen Ideologien das Ansehen der Mehrheit der Migranten“ [S. 84 (OS 82) Sp. 2 Mitte].

Diese Bemerkungen stehen im Kontext von türkischen MigrantInnen, die ungebildet bzw. schlecht ausgebildet und erwerbslos sind. Soll das Parteinahme und Einladung zur Integration sein? Mangels regierungsamtlicher Distanz zu dieser „aktuellen“ Darstellung wird verständlich, warum so viele Betroffene den „Nationalen Integrationsplan“ als Makulatur klassifizieren.

Der Bundesvorsitzende der türkischen Gemeinde, Herr K. Kolat, postuliert „Für uns heißt Integration Partizipation“. In den sog. „lebenswissenschaftlichen“ Disziplinen und in der modernen Staatswissenschaft ist der Begriff positiv besetzt. (Historisch ist der Begriff etwas belastet, was hier vernachlässigt werden kann.). Der Begriff wird sowohl von öffentlich-rechtlichen Institutionen wie auch von Bildungswerken u.ä. Organisationen verwendet. Differenzierte Internet-Suche ergibt Werte von 400 bis 660 Dokumente, so dass sich der Begriff durchaus im politischen -wenn auch nicht im regierungsamtlichen- Diskurs wiederfindet.

Das „wertfreie“ Hausfrauen-Syndrom

Der Studiendiktion entsprechend, gibt’s sogar eine „Hausfrauen-Quote“: 30-mal taucht das Wort „Hausfrau“ in der Studie auf, das sind ca. 21 % der 140 Nennungen des Wortes Frauen in der Studie ….

Den „Hausfrauen“ wird indirekt vorgeworfen, dass zwei von drei „daheim bleiben“!
Und das völlig frei von der Überlegung, ob es sich dabei um Familien mit „großer Anzahl von Kindern“ [S. 21 (OS) 19 Sp. 2 unten & Sp. 3 oben] und weiteren Personen (Familienverband) handelt, etwa im Gegensatz zu kinderarmen und generationenseparierten Inländerhaushalten, die doppelt so viel berufstätig seien.

Tatsächlich dürften in dieser Bevölkerungsgruppe durchschnittlich zwischen 40 bis 50 % mehr Kinder als in deutschen Familien sein. Wer im Wissen von 5-6-köpfigen Familien [s.a. Grafik S.48 (OS 46) Beispiel 2] die „Hausfrau“ „ohne Erwerbs-Wunsch“ (?); S. 32 (OS 30) Sp.3 Fettdruck) qualifiziert, die Hausfrauenquote (Überschrift S. 33; OS 31) als Defizit postuliert, muss sich schon fragen lassen, welche Vorstellungen mit der so apostrophierten „Hausfrau“ verbunden werden und warum ihr der Generalisator „ohne Erwerbswunsch“ zugeschrieben wird.

Der fehlende Hinweis auf „eine Politik, die den Arbeitsmarktzugang der Ehepartner von Zuwanderern begrenzte“ [BMAS Webdokument 24120, OECD] relativiert die Aussagekraft der Studie zusätzlich. Auch gehört dazu, dass Geringverdienerstatus und Aushilfsjobs im Mikrozensus als „unterfasst“ gelten.

Die OECD-Studie stellt fest, dass „bei Migrantinnen die Beschäftigungsquoten schon immer sehr niedrig“ und bei „türkischen Frauen mit weit unter 40 % besonders niedrig“ waren. Neben „kulturellen“ Bedingungen haben „politisch bedingte Zugangshindernisse, mit dazu beigetragen“ – eine Zustandsbeschreibung ohne den Ideologie-Indikator „Hausfrau“!

Selbst die Berliner stellen in ihrer Studie [Seite 45 (OS 43) Sp. 2] fest, dass trotz bester Bildungsabschluss-Quote bei den fernöstlichen migrierten Frauen der zweiten Generation, die Quote der Erwerbstätigkeit unverhältnismäßig gering ausfällt. Dies kann in familiären oder weniger idealen Strukturen begründet sein. Endlich ist 10 Seiten später [S. 55 (OS 53) Sp.1 unten] ein Hinweis zu finden: „Der Arbeitsmarkt nutzt ihre Potenziale jedoch nicht.“ Vielleicht doch, im unteren Lohnsegment, mehr als amtlich bekannt und registriert …

Auch in „Inländer-Haushalten“ von Paaren und Familien besteht ein unbefriedigender Trend, den Erhebungen des DIW am 05.02.2009 mit dem Titel „Frauen putzen mehr und verdienen weniger“ beschreiben.

Der Elfenbeinturm mit missglückten Tief-Geschossen ?

Die mit wissenschaftlichen Studien insinuierte „wertfreie Untersuchung“ wird wenigstens an einer Stelle zweifelsfrei demonstriert. „Türkischen Hausfrauen“ ordnet die Studie zumindest indirekt weniger bis keinen Wert zu. Und dies, obwohl die „Stiftung Berliner Institut“ sich keineswegs von „Werten der bürgerlichen Mitte“ entfernt sieht. Vielleicht hat die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel, „den“ Braten schon gerochen, als sie den Blick von der Berliner Studie eher abgewandt nur nach vorne richtete und auch ihre Staatsministerin, Frau Prof. Böhmer, mit Verweis auf „Daten aus 2005“ die Klippen der Studie zu umgehen suchte.

Werden solche Studien im „Elfenbeinturm der Wissenschaften“ vermutet?
Gerne – es wird dabei jedoch übersehen, dass dieser Turm nicht nur die Höhe der Zeit spiegelt, sondern auch etliche Tiefgeschosse hat, wo zu wenig ausgeleuchtet wird.

Nicht gut ausgeleuchtet bleibt, dass die meisten Menschen und eben nicht nur die türkischen, einerseits ihr Ursprungsland weder ideell noch formell aufgeben und trotzdem im anderen Land leben wollen. Insoweit wirkt der Fettdruck auf Seite 21 [S. 21 (OS 19) Spalte 2 Mitte] zu den osteuropäischen MigrantInnen „82 % behielten ihre bisherige Staatsbürgerschaft“ wie eine gezielte, dennoch unangebrachte Botschaft.

Die Studie kommentiert verwendete Indikatoren in einer Art und Weise, dass kritische Betrachtung zum Eindruck führt, es handelt sich um Generalisatoren, die nicht ergebnisoffen „untersucht“ wurden bzw. verwendet werden. Oder ist dafür wissenschaftliches Vokabular aus anderen Disziplinen, etwa mit dem Begriff „Perseveration“, zu bemühen?

Es mag ja sein, dass im Zahlenwerk gezeigte Ergebnisse und deren Variablen korrekt erstellt sind. Aufschlüsselung und Interpretation dazu entscheiden, inwieweit die Lebensverhältnisse hinreichend abgebildet werden. Manchmal verweigern Datenberge erwünschte Auskünfte und die Sachzwänge tun ihr Übriges für rigides Studienregime, dem Interpretation und Präsentation der Ergebnisse wenig umsichtig untergeordnet sind.

Ein bedeutender Hinweis vom Parlamentarischen Staatssekretär des BMI, Herr Altmaier, der über die Indikatoren hinauszeigt, ist hier erwähnenswert: „Das Fehlen von Indikatoren zur Integrationsmessung steht pars pro toto (= als Teil des Ganzen) für das Versagen des Staates und der Politik der letzten 20 Jahre bei der Entwicklung eines ganzheitlichen Integrationskonzeptes.“ [Senat Berlin, Projekt I3, Indikatoren, Nov. 2007]

Auch für diese Untersuchung trifft zu, dass die Methode nicht zum Selbstzweck werden darf. Jede Untersuchung sollte sich im konsequenten Respekt vor Lebenszusammenhängen und Befindlichkeiten betroffener Menschen profilieren. Dies erfordert, Ergebnisse so zu berichten, dass unerwünschte Nebenwirkungen und Adressierungen vermieden werden.

Bei direkt oder indirekt lebenswissenschaftlichen Themenbereichen gehört dieser Respekt heute zum Standard professioneller und zugleich verantwortungsbewusster Wissenschaftler. Dies steht nicht im Gegensatz zum Klartext, wie die BASS-Vorstudie beweist, aber vereinzelt (HWWI, Münz / Straubhaar et al, 2006) „als Grenze zu(r) philanthropischen Heuchelei“ (der Politiker!) apostrophiert wird.

Ein wichtiges Kriterium für das bewusste wahrnehmen der Vorteile einer Einbürgerung, ist der im Zielland empfundene Wohlfühl-Faktor. Wohlüberlegt gehört er in der Sozialwissenschaft zu den Schlüsselindikatoren. Ihn als Indikator in der Studie zu positionieren, lässt vielleicht sogar zahlenverliebten Untersuchern die Dimension der Integration bewusster werden. Bei nahezu allen Betroffenen, Einheimische wie MigrantInnen, würde damit vielmehr die erwünschte Nachdenklichkeit statt innere Abwehr beim Lesen der Studie aktiviert, denn diesen Indikator versteht jeder.

Leider deutet im Gegensatz dazu das Prädikat „missglückte Integration“ weniger auf eine Beschreibung realer Verhältnisse. Vielmehr vermittelt sich dadurch der Eindruck einer von Anfang an wertenden Ausgangsposition der „Untersuchung“. Die im unangenehm berührenden Sprachgebrauch zum Ausdruck kommende Studiendiktion, löste eben nicht das am 04.02.2009 in der Phoenix-Runde behauptete „positive Presseecho“ aus. Transportiert wurden bekannte, destruktive Einstellungen über angeblich „integrationsunwillige Türken“ nebst anderen Unfreundlichkeiten.
Sachorientiert und die Realität zutreffend beschreibend sind Orientierungen von SozialforscherInnen wie das nachstende Beispiel zeigt:
„ … weder gescheitert noch geglückt“, es sei „schlicht deutsche Realität, die mal schwierig, mal erfreulich verläuft, wie jede andere Form des Zusammenlebens auch.“ [Finkelstein 2006/2007, Feldforschungen (bpb Band 589]

Der Migrationsforscher, Prof. Klaus J. Bade: „Das allgemeine Lamento über die angeblich gescheiterte Integration in Deutschland ist ein sachlich falsches und gesellschaftspolitisch fahrlässiges Beschwören von Konfliktpotenzialen, das im Kern so alt ist wie die Geschichte von Einwanderung und Integration selbst.“ [Klaus J. Bade, Versäumte Integrationschancen und nachholende Integrationspolitik, Beiträge der Akademie für Migration und Integration, Heft 11, V&R unipress, Göttingen, Sept. 2007; S. 21]

Wer JETZT über „Ungenutzte Potenziale“ referiert und dabei – wenn auch in sog. ‚wissenschaftlicher’ Funktion – inzwischen inkriminierte Begriffe wie Assimilation und Gastarbeiter plakatiert, muss sich fragen lassen, warum gesellschaftliche Realitäten der Vergangenheit und damit die zugehörigen Menschen, heute noch so unbedacht wie ein aktuelles Programm präsentiert werden.

Unbedacht wirken auch Formulierungen wie „die Kosten eines ABGEHÄNGTEN Zugewanderten“ [S. 77 (OS 75) Graufläche 2] oder „schlecht“ in den Arbeitsmarkt Integrierte “ (S. 77; OS 75) – „schlecht“ sind vor allem die genannten Formulierungen. Sätze wie z. B. „Auch chronisch Kranke und aufgrund eines Unfalls Berufsunfähige verursachen in der Regel Mehrkosten …“ [S. 77 (OS 75) Graufläche 1, letzter Satz] präsentieren Schicksalgruppen negativistisch.

Die von den Schweizern erstellte BASS-Vorstudie (Bertelsmann-Stiftung) verzichtet auf alle solche kategorisierenden Formulierungen und beschreibt stattdessen „gesundheitliche Belastungen“ [S. 29] oder „Schwerbehinderung“ und komplettiert die Folgen unter Verzicht auf kritische Personalisierungen.

Feuerspiele mit oder ohne Funkenflug ?

Im vollen Kinosaal löst bei Menschen der Ruf „Feuer unterm Dach“ meistens Panik aus. Stattdessen führt die paradoxe Intervention „draußen gibt’s Sekt“ schadlos zum Ziel, den Saal zu räumen. Und analog dazu ist Wissenschaft gut beraten, sich einer gesellschaftlich angestrebten Sprachregelung zu bedienen und nicht methodisch fixiert dem vorigen Jahrtausend das Wort zu reden.

Zwar werden an sich akzeptable Hinweise, Warnungen und Ratschläge postuliert. Allerdings ist nichts davon neu, sondern wurde von anderen Organisationen und WissenschaftlerInnen schon kurz vor der Jahrtausendwende in akzeptablem Kontext, mehrfach aktualisiert, referiert. Hierzu sei nur das klar kommentierte Zahlenwerk des seit 1983, in der neuen Form seit 1986, erscheinenden als belastbar geltenden „Datenreport“ zu nennen. (Statistisches Bundesamt / destatis mit wzb & ZUMA; Herausgeber: Bundeszentrale für politische Bildung)

Bedarf es also dieser Studie mit jenen seltsamen Ausprägungen?

Wohl kaum. Dieses infrage stellen zieht auch nach sich, dass dem inzwischen von den Medien pauschal aufgegriffenen Zahlenwerk hier aus generellem Vorbehalt weitere Aufmerksamkeit versagt bleibt, zumal kritische Kommentierung bereits im JurBlog besteht und vollinhaltlich geteilt wird.
Wünschenswert sind Studien aus der Hand solcher Untersucher, die sich die Intensionen der BASS-Vorstudie zu eigen machen, damit objekive Ergebnisse als Handlungsgrundlage allgemein akzeptiert werden.

ZUR DISKUSSION steht nicht nur die „ … Überprüfung der Stichhaltigkeit einer Interpretation, sondern auch die Suche nach weiteren Indizien, die für oder gegen eine Erklärung sprechen. Auch hier muss das vorrangige Ziel die Überprüfbarkeit und der Ausschluss rivalisierender Hypothesen sein. Ist dies gegeben, dann braucht man sich nicht nur auf die intellektuelle Kompetenz und Redlichkeit von Wissenschaftlern zu verlassen, sondern kann auf den wissenschaftlichen Wettbewerb vertrauen, in dem eine Interpretation sich behaupten muss.

Kompetitive Replikation, die Bedrohung durch mögliche Nachuntersuchungen und ein wissenschaftliches Anreizsystem, das wissenschaftliche Innovation honoriert und Unredlichkeit und Inkompetenz bestraft (Campbell 1984), sind ausreichende Bedingungen dafür, dass sich überlegene ‚Interpretationsschemata’ durchsetzen“ [Renate Mayntz, Wolfgang Streeck (Hg.), Die Reformierbarkeit der Demokratie – Innovationen und Blockaden Festschrift für Fritz W. Scharpf, MPI für Gesellschaftsforschung, Band 45]

Kritische Beobachtungen und Bemerkungen fordern auf zum Diskurs bei engagiertem und fairem Hinschauen – weder zum Kopf wegdrehen noch zum resignativen Schweigen.

* Artikel am 03.02.2009 nicht in der „Presseschau bis 31.01.2009“ auf der Webseite des Berliner Instituts zur Studie enthalten.

Hans Werth 03./12.02.2009

2 Kommentare
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  1. Mikrozensus beruht, wie auch die Studie informiert [S. 13; OS 11], auf formalisierten Befragungen. Die Teilnahmepflicht ist gesetzlich geregelt und bußgeldbewehrt.

    Diese Aussage ist definitiv unrichtig! Die Verhängung eines Bußgeldes wird gem. § 9 MZG ausdrücklich ausgeschlossen. Allerdings kann – bei beharrlicher Auskunftsverweigerung – Zwangsgeld verhängt werden. Und dies sogar mehrfach bis die erwünschte Auskunft erteilt wurde.

    Anzumerken ist, dass der Mikrozensus nur die sog. „Haupterwerbstätigkeit“ bzw. Hauptwirtschaftstätigkeiten, telefonisch (CATI) erfragt bzw. im Rahmen qualifizierter Stichproben erfasste. Mehrere kleine Jobs als Nebentätigkeit oder anstelle von Haupterwerb, gelten im bisherigen Mikrozensus als „untererfasst“.

    Es wird bei der Erhebung sehr wohl nach der Anzahl der Erwerbstätigkeiten gefragt und diese werden auch erfasst, wenn es mehrere Jobs gibt. Allerdings werden solche Angaben häufig nicht gemacht. Was natürlich ein Mangel ist, der aber nur durch eine bessere Auskuntserteilung zu beheben wäre.

  2. […] […]

 

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