Deutsche Reflexe

19. April 2006 | Von | Kategorie: Leitartikel | Keine Kommentare |

Ein lesenswerter Kommentar von Vera Gaserow in der Frankfurter Rundschau, die das Vorgehen so mancher Politiker zutreffend darstellt:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Artikel 1 unserer Verfassung hat in Stein gemeißelt, was nicht verhandelbare Grundlage unseres Wertesystems sein soll. In Potsdam haben jene, die Ermyas S. ins Koma prügelten, diese Basis offenkundig verlassen.

Artikel 3 unseres Grundgesetzes schreibt weiter fest: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat oder Herkunft benachteiligt werden. Die Schläger in der brandenburgischen Landeshauptstadt verkehrten diesen Verfassungsgrundsatz in sein genaues Gegenteil. … Und zu Recht käme keiner auf die Idee, die Schläger an einen anderen Ort abzuschieben als in ein deutsches Gefängnis.

Diese Selbstverständlichkeiten scheinen außer Kraft gesetzt, wenn es in der Integrationsdebatte um Ausländer geht. Da kann derzeit jeder ungestraft auch Vorschläge machen, die unser Rechtssystem auf den Kopf stellen. So wenn Politiker nach dem Urteil im Berliner Ehrenmordprozess jetzt forsch die Ausweisung der gesamten Familie Sürücü fordern. Sie plädieren damit für eine Sippenhaft, obwohl ein Gericht gerade – so misslich das auch ist – keine ausreichenden Beweise für eine Mitschuld der Verwandten sah. Zugleich kreieren Öffentlichkeit und Politik einen neuen Straftatbestand. Das Delikt heißt Integrationsverweigerung, ein Novum in der deutschen und europäischen Rechtssystematik. Als Strafe drohen weder Geldbußen noch Gefängnis, sondern Abschiebung. Auf die Beweisführung darf man gespannt sein. Reicht integrationsfeindliches Denken schon aus? Wie strafmildernd oder strafverschärfend wirkt es, wenn ein Familienmitglied rechtschaffen im öffentlichen Dienst ist, ein anderes aber verbohrter Moscheegänger?

Man könnte solche Vorstöße unter der Rubrik populistische Irrlichter abhaken. Nur manchmal hinterlässt auch grober Unsinn Kratzer – im gesellschaftlichen Klima und womöglich in der Verfassung.

Ekrem Senol РK̦ln, 19.04.2006

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