Kopftuchfall: Der resignierte Rektor

9. November 2006 | Von | Kategorie: Leitartikel | 11 Kommentare |

Brief

Vorgeschichte:

Anfang Oktober 2006: Die Betroffene Schülerin (16) wurde vom Schulleiter aufgefordert, am Klassenunterricht ohne Kopftuch teilzunehmen. Sie würde den Kopftuch höchstwahrscheinlich auf Druck der Familie tragen. Das Kopftuch sei ein Symbol für Frauenunterdrückung. Der Koran enthalte keine Kopftuchpflicht. In der Türkei und in Frankreich seien Kopftücher in den Schulen auch verboten. Sie könne zu Hause ein Kopftuch tragen. In der Schule ginge das jedoch nicht. Er würde sie sonst von der Schule verweisen.

Mitte Oktober 2006: Die Familie schreibt den Rektor an erklärt die Gründe für das Tragen des Kopftuches und macht auf die Rechtsprechung aufmerksam.

Eine Woche später: In einem persönlichen Gespräch mit der Familie bekräftigt der Rektor noch einmal seinen Standpunkt. Die 10. Klasse habe einen freiwilligen Charakter und falle nicht unter die Schulpflicht weswegen er sie von der Schule verweisen könne, wenn sie den Kopfutch nicht abnehme.

Ende Oktober: Die Angelegenheit wird an die Abteilung für Schule und Weiterbildung der Stadt weitergeleitet. Es wird Abhilfe versprochen.

Einen Tag später: Das Schreiben (s.o.)

Ekrem Senol РK̦ln, 09.11.2006

11 Kommentare
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  1. knifflig: auf der einen Seite ist die ursprüngliche Argumentation des Rektors natürlich hahnebüchen und zeugt allenfalls von der Unfähigkeit der Schulaufsichtsbehörden, den Schulleitern die wesentlichen Rechtsgrundlagen ihrer Tätigkeit zu vermitteln.

    Auf der anderen Seite gibt es einen Punkt, der hier stört: Von einer religionsmündigen Schülerin kann und muss verlangt werden, dass sie sich selbst für ihre Rechte einsetzt. Sie darf sich dabei zwar von ihrer Familie unterstützen lassen. Sofern aufgrund der Umstände jedoch davon auszugehen wäre, dass hier in erster Linie die Eltern Druck machen und sich die Schülerin selbst nur widerwillig diesem Druck beugt, ist die Schule in der Zwickmühle. Denn dem Grundrecht der Schülerin könnte sie nur dadurch zur Geltung verhelfen, dass man ihr das Kopftuch verbietet – das wird aber wiederum dazu führen, dass die Eltern den Druck erhöhen.

    Selbstverständlich bedeutet dieser Einwand nicht, dass alle Schülerinnen, die im Unterricht ein Kopftuch tragen wollen, das nur auf Druck ihrer Eltern tun. Aber es ist sicher klar, dass das durchaus nicht selten vorkommt.

    Hier ist das pädagogische Fingerspitzengefühl der Lehrkräfte in höchstem Maße gefordert: Denn sie müssen der Schülerin vermitteln, dass man auch sie als Person ernst nimmt, obwohl man sich formal dem Willen der Eltern beugt. Und das ist in der Praxis kaum zu schaffen.

  2. Der resignierte Rektor… und die Alternativen…

    Beim Lesen dieses Beitrags auf dem JurBlog ist mir Folgendes in den Sinn gekommen:
    knifflig: auf der einen Seite ist die ursprüngliche Argumentation des Rektors natürlich hahnebüchen und zeugt allenfalls von der Unfähigkeit der Schulaufsichtsbehör…

  3. @ Johannes Rux

    Mehr als das Auftreten des Rektors finde ich an dieser Angelegenheit ärgerlich, dass ein Schuldirektor, der höchstwahrscheinlich weder den Koran studiert hat oder sonst viel Ahnung vom Islam haben dürfte, solche Argumente zusammentragen kann. Das sind Resultate von Äußerungen vieler Politiker. Zwangsläufig wird bei vielen Menschen der Eindruck erweckt, der Kopftuch sei keine Pflicht, würde für Unterdrückung der Frau stehen etc.

    Ob das Kopftuch nun tatsächlich ein Pflicht ist oder nicht spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Das mag jeder für sich selbst Entscheiden. Und genau das ist das Problem der öffentlichen Diskussionen der letzten Monate. Selbst Theologen geben da unterschiedliche Meinungen von sich. Dennoch wird seit Monaten der Eindruck erweckt, der Kopftuch sei eben keine Pflicht. Das Verhalten des Schulleiters ist hier im Grunde genommen nur ein Produkt der Diskussionen der letzten Zeit über das Kopftuch. Mehr Verantwortung im Umgang mit solchen Themen ist notwendig.

  4. @ Ekrem Senol

    Wenn man Muslime über den christlichen Glauben spricht, hört man häufig auch mißverständliche, extrem verzerrende oder sogar bewußt falsche Deutungen über Bibel und Theologie. Die wenigsten Muslime, die über die Bibel reden, haben diese selbst studiert oder sonst viel Ahnung vom Christentum. In einer offenen, demokratischen Gesellschaft ist das aber hinzunehmen, selbst wenn man wenig nette Dinge übereinander sagt.

    Was das „jeder für sich selbst Entscheiden“ angeht, kann ich nur zustimmen. Dann mag aber auch jede(r) für sich selbst entscheiden und nicht Eltern für ihre Kinder, Männer für ihre Ehefrauen etc. Und genau das ist wohl im vorliegenden Fall fraglich.

  5. @ Christian

    Leider stimmt es, dass Menschen schlecht übereinander reden und von mir aus sollen die das auch tun, wenn es sie glücklich macht. Ich kritisiere allerdings nicht, dass irgendwelche Menschen schlecht übereinander reden sondern, dass Politiker, die Vorbilder sind und von denen der einfache Bürger die Ansicht hat, er weis wovon er spricht, schlecht bzw. unwissend über eine Gruppe von Menschen reden. Aussagen von Führungsperönlichkeiten in der Öffentlichkeit lenken sehr viele Menschen. Das darf einfach nicht hingenommen werden, wenn die Richtung schlicht falsch ist.

    Wie kommen Sie darauf, dass das „jeder für sich selbst Entscheiden“ im vorliegenden Fall wohl fraglich ist? Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, außer das der Schulleiter es behauptet hat. Dass Kopftücher auch Fremdbestimmt getragen werden, ist in der Tat ein großes Problem. Lassen Sie uns aber nicht davon ausgehen, dass es bei der Mehrheit der Fall ist.

  6. Man kann den Rektor ja nur zu seiner Erkenntnis beglückwünschen: Jetzt erklärt er authentisch, was Muslime nach dem Koran zu glauben haben.
    Es mag ja sein, dass ein bunter Strauß an Motiven zum Kopftuchtragen führt. Sicherlich werden Frauen hierzu auch gezwungen. Aber kann der Rektor dies hier sagen? Weiß er von dem Mädchen, dass immerhin bereits religionsmündig ist nach RKEG, dass diese kein Kopftuch tragen will?
    Selbst wenn er aber eine gesicherte Kenntnis hat, dann ist es doch wohl wenig pädagogisch geschickt, den Eltern mit einem Verweis zu drohen. Probleme werden doch damit auch nicht gelöst.
    Weil schließlich ist Erziehung zunächst Sache der Eltern. Nur wo das Kindeswohl gefährdet ist, kommt der Staat zum Einsatz. Daher: Wenn der Rektor das Kindeswohl gefährdet sieht, dann muss er das Jugendamt einschalten – Eine eher fernliegende Variante, aber die sind dafür zuständig. Ist es nicht gefährdet, kann er reden, muss sich aber sonst raushalten.
    Überhaupt: Es geht hier doch am Ende darum, so meint der Rektor wohl, dass eine Schülerin selbständig die Religion wählt. Macht sie das nicht, weil sie von ihren Eltern dazu gezwungen wird, wird sie von der Schule verwiesen. Ist das Aufgabe eines Verweises?

  7. @Christian:
    „Die wenigsten Muslime, die über die Bibel reden, haben diese selbst studiert oder sonst viel Ahnung vom Christentum.“

    Das mag ja stimmen, richtig problematisch wird es aber erst, wenn diese bzgl. Christentum unterinformierten Muslime den Christen vorschreiben wollen, was das Christentum bedeutet und was es vorschreibt.. Das Problem ist nicht, dass über den Islam gesprochen wird (oder über die Kopfbedeckung diskutiert wird), sondern eher wie!

  8. […] Kopftuchfall: Der resignierte Rektor – JurBlog […]

  9. Leider berufen sich die meisten Lehrer auch auf die Tatsache das es in der Türkei in den Universitäten keine Kopftuchpflicht gäbe. Daraus resultierten auch bemühungen selbsternannter Befreiungslehrer, die in jeder Muslimin eine unterdrückte Frau sehen wollen. Würden praktizierenden Muslime und deutsche Verantwortungsträger hier „ernsthaft“ zusammen arbeiten können, wäre das Problem schon längst eingegrenzt. Oft wird mangelder Integrationswillen muslischer Mitbürger gennant, was bei einigen der zutrifft aber bei anderen nicht, jener Integrationswillen sollte aber nicht die aufgabe der eigenen Identität sein.

    Und das Kopftuch ist nunmal ein bestandteil muslimischer Identität.

  10. Christian:“Wenn man Muslime über den christlichen Glauben spricht, hört man häufig auch mißverständliche, extrem verzerrende oder sogar bewußt falsche Deutungen über Bibel und Theologie. Die wenigsten Muslime, die über die Bibel reden, haben diese selbst studiert oder sonst viel Ahnung vom Christentum. In einer offenen, demokratischen Gesellschaft ist das aber hinzunehmen, selbst wenn man wenig nette Dinge übereinander sagt.“

    Es geht hier ja auch nicht nur darum, daß der Rektor eine völlig verquerte Ansicht bezüglich der Pflichten einer Muslima hat. Das ist, wie sie sagen, in einer demokratischen Gesellschaft hinzunehmen. Dass dieser Rektor aber seine völlig laienhafte und extrem vorurteilsbehaftete Ansicht zur Grundlage einer Entscheidung macht, die so weitreichende Konsequenzen für eine Schülerin haben kann, muss und darf in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat nicht hingenommen werden.

  11. …und wieder zeigt sich, wie sehr der Westen mittlerweile vor dem Islam katzbuckelt.

    Es ist unerheblich, ob die Schülerin kraft Ihres Alters den Streit allein ausfechten könnte oder die Hydra der Familie den Rektor belästigt. Einen ähnlichen Fall gab es auch an einer Schule meines Wohnorts (79…) – allerdings ohne Rückzieher.

    Egal, ob man den Koran, die Sunna oder die Bibel kennt und auswendig lernt – es sind die Auslegungen bzw. Interpretationen dieser Legenden, die zum ewigen Streit führen.
    Und ganau deswegen sollte ja auch die Kirche und Staat strikt getrennt werden – wie z.B. in der Türkei.

    Ich bin weder rechtsextrem noch Neonazi – ich bin Atheist und ich mag es nicht, wenn sich ein Gast in meinem Haus aufführt, als wäre er der Besitzer und hat die Regeln festzulegen.

    Boo

 

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