Widerstände gegen die Folter

21. August 2007 | Von | Kategorie: Recht | Keine Kommentare |

Widerspruch gegen die Anwendung der Folter hatte es bereits in der Zeit vor Christus gegeben. So rügt Cicero in einer Rede die Folteranwendung wie folgt: „Bei den peinlichen Fragen scheint man nicht darauf auszugehen, die Wahrheit zu erforschen, sondern um damit jemanden, der gefoltert wird, zu falschen Aussagen zu zwingen[1]. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit galten die Bedenken teils gegen die Glaubwürdigkeit von erzwungenen Geständnissen, teils wurden sie jedoch auch als unmenschliches Mittel bezeichnet[2]. Diese unterschiedliche Missbilligung hatte auch unterschiedliche Forderungen zur Folge. Die einen forderten „lediglich“ die Einschränkung der Folter und verurteilten den Missbrauch. Wohingegen die anderen die gänzliche Abschaffung verlangten. Die Widerstände gegen die Folter sollen deshalb unter diesen beiden Gesichtspunkten analysiert werden.

Die Einschränkung der Folter

Im 15. Jahrhundert wurde die Folter in immer stärkerer Masse dafür missbraucht, um im Strafprozess Geständnisse um jeden Preis zu erlangen. Diese Art und Weise wurde auch als „Geständnisprozess“ bezeichnet. Erst im 16. Jahrhundert kam es in den großen Rechtsreformen zu einer Einschränkung der Folter durch die Präzisierung der Kriterien und die Ausbildung einer Indizienlehre.

Die „Constitutio Criminalis Carolina“

Durch die „Constitutio Criminalis Carolina von 1532 sollte eine maßvolle Anwendung der Folter gewährleistet werden. Trotz der Beibehaltung der Folter in seinen Grundzügen zeichneten sich die Carolina dadurch aus, das versucht wurde, einen an Form und Regeln gebundenen Strafprozess zu schaffen. Das Eintreten für eine Mäßigung und eine strengere Kontrolle sollte sich als erste Stufe im Kampf gegen die Folter erweisen. Ein durch Folter erlangtes Geständnis reichte nur aus, wenn Indizien von erheblicher Stärke vorlagen (Art. 22 ff.). Suggestivfragen auf der Folterbank waren verboten; überdies reichte das unmittelbar nach der Folter abgelegte Geständnis nicht aus. Vielmehr sollte der Angeklagte einen oder mehrere Tage später erneut befragt werden, und zwar nicht in der Folterkammer, sondern „in die büttelstuben oder ander gemach“ (Art. 56). Das in der Marter abgelegte Geständnis war unwirksam (Art. 58), entscheidend war die Aussage, „so er von der marter gelassen ist“. „Ordnungsmaßstab waren die Folterbestimmungen des römischen Rechts (D 48.18; C. 9. 41)[6]. Durch diese offensichtlichen Bemühungen, das durch Folter erwirkte Geständnis auf seine Richtigkeit zu überprüfen und nicht kritiklos zu übernehmen, stellte die Carolina einen Fortschritt dar. Bezeichnend ist, dass „die von der Carolina gezogenen Grenzen in verderblicher Weise überschritten“ wurden: den Höhepunkt erreichte „der ärgste Missbrauch“ in den Hexenprozessen.

Das Regelungsmodell von Benedict Carpzov

Obwohl die Carolina in fast allen deutschen Territorien als gültig betrachtet wurde, war ihre Anwendung in der Gerichtspraxis beeinträchtigt durch die unzureichende Ausbildung vieler Richter, das Fortleben alter Rechtstraditionen und die mangelnden Kontrollmöglichkeiten innerhalb der kompliziert strukturierten Gerichtsverfassungen [7]. Im Bewusstsein dieser Umstände und „in klarer Erkenntnis der Gefährlichkeit“ der Folter hat der Gesetzgeber zwar zahlreiche Schutzbestimmungen erlassen; ihre Zulässigkeit stand jedoch außer Frage[8]. Trotz ihrer Fortschrittlichkeit führten diese Umstände zu erheblichem Missbrauch der Folterbestimmungen. Dadurch war mit der Folter praktisch jedes Geständnis zu erlangen. Bloch nennt die Carolina deshalb ein „Lehrbuch des Sadismus“[9].

Diese Lage war den Richtern der obersten Gerichte durchaus bekannt. Benedict Carpzov, Richter am Appellationsgericht Dresden, den obersten Gericht Sachsens, „primus ordinarius“ am renommierten Leipziger Schöffenstuhl sowie Richter am Oberhofgericht und am Kirchengericht in Leipzig, bezeichnet die Folter als ein „trügerisches und gefährliches Instrument“, dass häufig über die Wahrheit hinweg täusche. Carpzov wisse aus Erfahrung, dass mancher Straftäter jeder Folter widerstehen könne. Viele Menschen zögen es jedoch vor, alles Beliebige zu gestehen[10]. Trotz alledem seien für Carpzov die Erforschung der Wahrheit und eine effiziente Strafverfolgung ohne die Folter unmöglich. Dabei bezieht sich Carpzov unter anderem auf die Peinliche Halsgerichtsordnung von Kaiser Karl V, die Carolina[11]. Carpzov vereinigte damit „folterbejahende Effizienz und folterkritische Skepsis in einem Regelungsmodell[12], das aus damaliger Sicht einzuleuchten vermochte“. Dieses Regelungsmodell war dadurch gekennzeichnet, dass Aktenversendung, Strafverteidigung und die rechtliche Beschränkung der Folter einen gewissen Schutz der Angeklagten gewährleisteten. Nach Falk liegt in dieser Synthese allerdings „ein entscheidender Grund dafür, dass die strafprozessuale Folter in der deutschen Jurisprudenz und Rechtspraxis bis weit ins 18. Jahrhundert akzeptiert wurde“[13].

Bekir Altas – Duisburg, 21.08.2007

Teil 1: Der Kampf gegen die Folter
Teil 2: Die Anwendung der Folter im deutschen Strafprozessrecht

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[1]Lieberwirth, in: Thomasius, Christian: Ãœber die Folter, Untersuchungen zur Geschichte der Folter, S. 123
[2]Baldauf: Die Folter. Eine deutsche Rechtsgeschichte, S. 71 ff., S. 44f.
[3]Der fränkische Ritter Johannes Freiherr zu Schwarzenberg und Hohenlandsberg (1463 oder 1465 – 1528) schuf im Jahre 1507 die Halsgerichtsordnung für das Bistum Bamberg, die sog. „Constitutio Criminalis Bambergensis“. Diese war Vorbild für die Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V.
[4]Schmidt: Der Strafprozeß, Aktuelles und Zeitloses, NJW 1969, 1137,1138.
[5]Als Indizien wurden u.a. aufgeführt: der allgemein verdächtig machende üble Leumund, die Tatsache, dass der verdächtige in der Nähe des Tatortes gesehen wurde, die Bezichtigung durch einen Sterbenden, der Fund eines dem Beschuldigten gehörenden Gegenstandes.
[6]Lieberwirth, in: Erler/Kaufmann: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, I. band, S. 1152
[7]Trusen, Winfried: Strafprozeß und Rezeption. Zu den Entwicklungen im Spätmittelalter und den Grundlagen der Carolina, S. 86-90
[8]Trusen, Winfried: Strafprozeß und Rezeption. Zu den Entwicklungen im Spätmittelalter und den Grundlagen der Carolina, S. 104, 112
[9]Bloch: Naturrecht und menschliche Würde, Frankfurt 1977,S. 278.
[10]Falk: Zur Folter im deutschen Strafprozess. Das Regelungsmodell von Benedict Carpzov (1595-1666), Rn. 29f., http://www.rewi-hu-berlin.de/FHI/Zitat/0106falk-folter.htm
[11]Falk: Zur Folter im deutschen Strafprozess. Das Regelungsmodell von Benedict Carpzov (1595-1666), Rn. 17ff., http://www.rewi-hu-berlin.de/FHI/Zitat/0106falk-folter.htm
[12]Carpzsov machte die Zulässigkeit der Folter von strengen rechtlichen Voraussetzungen abhängig. Aktensendung, Strafverteidigung und die rechtliche Beschränkung der Folter gewährleisteten einen gewissen Schutz der Angeklagten. Dadurch ist in Kursachsen eine auffallend niedrige Quote an Hexenprozessen und an Todesurteilen zu beobachten. Die Zulässigkeit der Folter hingegen gewährleistete eine gewisse Befriedigung des kriminalpolitischen Bedürfnisses nach kompromissloser und effizienzbetonten Strafverfolgung.
[13]Falk: Zur Folter im deutschen Strafprozess. Das Regelungsmodell von Benedict Carpzov (1595-1666), Rn. 33ff., 98, http://www.rewi-hu-berlin.de/FHI/Zitat/0106falk-folter.htm

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