Gerichtsvollzieher für das Bundesverfassungsgericht gesucht

18. Mai 2007 | Von | Kategorie: Politik | 7 Kommentare |

Und jährlich murmeln Innenminister den islamistischen Terrorismus zur größten Bedrohung für Deutschland hinauf.

2006 stieg die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund zwar um stolze 9,3 Prozent auf 1047 aber der islamistische Terrorismus stellt die größte Bedrohung dar. Die rechtsextreme NPD verzeichnete im vergangenen Jahr einen deutlichen Mitgliederzuwachs – von 6000 auf 7000 aber der islamistische Terrorismus stellt die größte Bedrohung dar. Zwar sind viel mehr gewaltbereite Rechtsextreme verzeichnet als gewaltbereite Islamisten aber der islamistische Terrorismus stellt die größte Bedrohung dar.

Wieso das so ist, hat Herr Schäuble 2006 nach einem Überfall auf einen schwarzen in Potsdam versucht damit zu erklären, dass „auch blonde Menschen Opfer von Gewalttaten, zum Teil sogar von Tätern, die möglicherweise nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben“ werden.

Polemik beiseite, lassen sich die wahren Gründe relativ einfach erklären: Mit rechtsextremen Bedrohungen lassen sich keine Sicherheitspakete begründen und erst recht nicht glaubwürdig unters Volk bringen. Das unbekannte, unheimliche und viel gefährlichere islamistische Terrorismus dagegen beängstigt zuverlässig auch ohne konkrete Anhaltspunkte für irgendwelche Gefahren. Die „abstrakte“ Gefahr reicht bereits aus, um Angst hervorzurufen. Nicht umsonst fordert Herr Schäuble im Zusammenhang mit der „größten Bedrohung“ die Einführung der verfassungsrechtlich höchst umstrittenen online Durchsuchung von Computern. Nicht umsonst ist Angst das Schmieröl der Staatstyrannei.

Was aber – Bedrohung hin oder her – wenn auch das letzte Freiheitshemd für eine Hand voll Sicherheitsgefühl eingetauscht ist. Dann, wenn Freiheitsrechte und Menschenwürde, Datenschutz und Unschuldsvermutung künftig nur noch in Fremdwörterbüchern zu finden sind, wird der Rechtsstaat an seiner Verteidigung gestorben sein. Wird unser künftiger Innenminister bei der Vorstellung der Verfassungsschutzberichte dann endlich sagen können, dass der islamistische Terrorismus keine Bedrohung mehr darstellt? Nein!

„Man bekämpft die Feinde des demokratischen Rechtsstaats nicht mit dessen Abbau, und man verteidigt die Freiheit nicht mit deren Einschränkung“. Kaum zu glauben, dass diese mahnenden Worte 1978 – damals noch im anderen Zusammenhang – unser ehemaliger Bundesinnenminister Otto Schily unterschrieben hat. Der Innenminister, mit dessen Anordnung Geheimdienste erstmals online Durchsuchungen – mit Wissen um die wahrscheinliche Verfassungswidrigkeit – durchgeführt haben.

Viele Grundrechte stehen heute schon vor dem aussterben und dennoch zieht die vermeintliche Sicherheitskarawane unaufhaltsam weiter. Der Verfassungsschutz, der nach dem Namen eigentlich die Verfassung schützen müsste, arbeitet mit Methoden, die Gegenstand von Skandalen sind und meist erst durch Gerichtsverhandlungen in die Öffentlichkeit gelangen. Der Verfassungsschutzbericht wird zwar in Köln (Hauptsitz des Bundesamtes für Verfassungsschutz) und Berlin (Bundesinnenministerium) geschrieben, diktiert wird es allerdings aus Karlsruhe, wo der Bundesverfassungsgericht seinen Hauptsitz hat. Im Namen des Volkes wurden allein in den letzten Jahren viele Verfassungsverstöße attestiert, ohne dass eine Sanktion spürbar wäre.

Jedenfalls tagträumte ich, als Herr Schäuble den Verfassungsschutzbericht in der Pressekonferenz vorstellte, wie ein Gerichtsvollzieher des Bundesverfassungsschutzgerichts die Veranstaltung stürmt und die Dreharbeiten für den diesjährigen – mit Steuergeldern finanzierten – Werbespot für neue Sicherheitspakete beendet. Tagträume eben. Weder hat das Verfassungsgericht Gerichtsvollzieher, noch sehe ich eine Chancen dafür, dass der Sicherheitsalptraum irgendwann endet und die angeblich „größte Gefahr“ ausgeträumt ist. Bis zu den nächsten Dreharbeiten Herr Innenminister – wie immer Sie auch künftig heißen werden!

Ekrem Senol – Köln, 17.05.2007

7 Kommentare
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  1. Die größte Bedrohung für unser Land sind Leute, die andauernd das Grundgesetz ändern wollen.

  2. […] Einen sehr interessanten Text zu islamistischen Terrorismus, Sicherheitspaket und Verfassungsschutz findet man hier: Gerichtsvollzieher für das Bundesverfassungsgericht gesucht […]

  3. […] JurBlog.de » Gerichtsvollzieher für das Bundesverfassungsgericht gesucht. […]

  4. Ich habe bisher nocht nichts davon gehört, daß Rechtsextreme oder NPDler, Linksextreme oder was noch für’n Gesocks ein Attentat mit mehreren Tausend Toten durchgeführt haben – Die Tat wurde zum Teil in Deutschland geplant und vorbereitet. Ich habe auch noch nicht davon gehört, daß Rechtsextreme mit Sprengstoffgürteln oder Rucksäcken mit Sprengstoff durch die Gegend laufen – ständig auf der Suche nach möglichst vielen Opfern.

    Von solchen kruden Vergleichen wie dem Ihren habe ich allerdings schon viel gehört. Immer schön den Blick der Deutschen auf ihre Vergangenheit und die Rechtsextremen (die Linksextremen werden immer gern vergessen) lenken – das trübt den Blick für die Gegenwart.
    Mag der Verfassungschutz nicht immer optimal arbeiten – es ist mir aber sehr recht, daß er z.B. Typen, die ihr Kind „Dschihad“ nennen, im Auge behält.

    MfG
    Boo

  5. Ich habe bisher nocht nichts davon gehört, daß Rechtsextreme oder NPDler, Linksextreme oder was noch für’n Gesocks ein Attentat mit mehreren Tausend Toten durchgeführt haben – Die Tat wurde zum Teil in Deutschland geplant und vorbereitet. Ich habe auch noch nicht davon gehört, daß Rechtsextreme mit Sprengstoffgürteln oder Rucksäcken mit Sprengstoff durch die Gegend laufen – ständig auf der Suche nach möglichst vielen Opfern.

    Vielleicht sind Sie zu einseitig informiert?

    Durch das Oktoberfestattentat am 26. September 1980 kamen 13 Menschen ums Leben, 211 wurden verletzt, 68 davon schwer.

    Durch die „Bajuwarische Befreiungsarmee“, von 1993 bis 1997 waren vier Todesopfer zu beklagen, 15 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

    Und 2005: 12 Angehörige eines „Freikorps Havelland“, die Brandanschläge in Serie auf türkische oder asiatische Imbissstuben und Restaurants verübt hatten, erhielten teilweise mehrjährige Jugendstrafen, ebenso Angehörige der „Kameradschaft Süd“ München, die Anschläge geplant hatten. Ihr Anführer Martin Wiese erhielt eine Freiheitsstrafe von insgesamt sieben Jahren. Zudem wurden wiederholt Waffen- und Sprengstofflager beschlagnahmt. (neben 14 Kilogramm Sprengstoff, darunter 1,7 Kilogramm TNT, noch Handgranaten, Messer und Pistolen sowie umfangreiches Propagandamaterial sicher. Ebenfalls gefunden wurden Listen, auf denen missliebige Journalisten und AntifaschistInnen vermerkt waren.)

    Letzteres hat genau den tödlichen Maßstab von den islamistischen Bahnbombern.

    Rechtsextremen Terrorismus zu negieren ist genauso dumm, wie islamistischen Terrorismus kleinzureden.

    Warum Ekrems Polemik hinkt, wurde hier schon mal diskutiert.

  6. Ich negiere keinen keinen Rechtsextrimismus, ebenso wenig Linksextrimismus.

    Zitat Hr. Seniol: „Die “abstrakte” Gefahr reicht bereits aus, um Angst hervorzurufen.“

    Hier wird etwas negiert – und zwar gewaltig.
    Die Gefahr ist nicht so abstrakt, wie Herr Senol gern glauben machen möchte. Der 11. Spetember mit über 3000 Toten hat das deutlich gemacht.

    MfG
    Boo

  7. Bürgerrechtsorganisationen kritisieren Mißachtung höchstrichterlicher Urteile – Grundrechte-Report 2007 am Montag in Karlsruhe vorgestellt…

    Das Fazit des Grundrechte-Reports 2007 ist eindeutig: Staatliche Überwachung, Übergriffe und Ungleichbehandlung sorgen weiter für eine deutliche Kluft zwischen den Ansprüchen des Grundgesetzes und der Realität der Achtung der Grundrechte in Deutsc…

 

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