Formale Treue zur Verfassung reicht nicht – Man muss sie auch leben dürfen

26. November 2007 | Von | Kategorie: Recht | 2 Kommentare |

„Kann es sich ein islamischer Verband wirklich zur Aufgabe machen, Eltern systematisch dabei zu unterstützen, ihre Töchter vom schulischen Sportunterricht abzumelden, und hierbei auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verweisen, das entschieden hat, dass Schülerinnen muslimischen Glaubens, die sich wegen der aus ihrer Sicht verbindlichen Bekleidungsvorschriften des Korans außerstande sehen, am koedukativen Sportunterricht teilzunehmen, einen Anspruch auf Befreiung vom Unterricht haben? Müssten die Verantwortlichen in den Verbänden hierbei nicht auch bedenken, dass damit Mädchen möglicherweise in eine Außenseiterrolle innerhalb des Klassenverbandes gedrängt werden?“

Diese Fragen, auf die näher eingegangen wird, stellt Prof. Dr. Christine Langenfeld, Direktorin des Instituts für Öffentliches Recht an der Universität Göttingen, in der Printausgabe der FAZ vom 15.11.2007 (Nr. 266, Seite 12). In ihrem Artikel misst sie in kultureller, integrations- und religionspolitischer Hinsicht der Einführung eines Religionsunterrichts für die ca. 700.000 muslimischen Kinder erhebliche Bedeutung zu. Der Religionsunterricht sei eine gemeinsame Angelegenheit von Staat und Religionsgemeinschaften. Dem Staat sei die Aufsicht auch über den Religionsunterricht zugewiesen, dass allerdings in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften zu erteilen sei.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Einführung islamischen Religionsunterrichts sei, dass sich Religion und Staat zu gegenseitiger Selbstbeschränkung bereitfinden. Der Staat müsse auf der einen Seite darauf bestehen, dass seine Rechtsordnung nicht in Frage gestellt werde. Auf der anderen Seite müsse sie Zugeständnisse dahingehend machen, dass sich die Inhalte des Religionsunterrichts nicht vollständig an der weltlichen Verfassung auszurichten hätten. Der Religionsunterricht müsse nicht jede Form des Grundrechtsgebrauchs für gleichermaßen gut und erstrebenswert halten. Die Religionsgemeinschaften müssten im Gegenzug darauf achten, dass die im Religionsunterricht vermittelten Inhalte mit dem Kernbereich der im Grundgesetz verankerten Grundrechte zu vereinbaren seien.

Die bis hierhin weitestgehend differenzierten Ausführungen der Verfasserin nehmen jedoch bei den eingangs aufgeführten Fragen eine kleine Wendung. Könne ein islamischer Verband es sich zur Aufgabe machen, Eltern „systematisch“ zu unterstützen, wenn es darum gehe, ihre Töchter vom Sportunterricht zu befreien?

Ein islamischer Verband kann, möchte es ernsthaft die Interessen seiner Mitglieder wahrnehmen, es sich nicht erlauben, sich dieser Aufgabe zu entziehen. Ein islamischer Verband, der zugleich auch ein Interessenverband ist, ist bereits aus ihrem Selbstverständnis heraus zur Unterstützung derer gezwungen, die wegen der religiösen Lebensweise in der Gesellschaft ausgegrenzt werden oder zu Unrecht diskriminiert oder benachteiligt werden. Wo, wenn nicht in diesen Fällen, wann, wenn nicht in „islamophoben“ Zeiten und wer, wenn nicht ein islamischer Verband, sollte sich diesen Aufgaben annehmen?

Fraglich und daher ausführungsbedürftig ist allenfalls, wie die „systematische“ Unterstützung ausgestaltet ist, sofern man überhaupt von einem „System“ sprechen kann. So lange ein islamischer Verband darauf achtet, nicht den Willen der Eltern durchzusetzen, sondern die der Töchter, die aus eigenen religiösen Gründen heraus nicht am Sportunterricht teilnehmen möchten, gibt es zumindest aus religiöser Sicht nichts zu bemängeln. Und wenn der Wille, vom Sportunterricht befreit zu werden, mit den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts vereinbar sind, gibt es auch aus juristischer Sicht keine Einwände. Der Einwand, dass eine mögliche Befreiung zur Ausgrenzung führen kann, ist sicherlich ernst zu nehmen. Wie aber soll ein islamischer Verband einer Schülerin vermitteln, dass die Inanspruchnahme eines vom Bundesverwaltungsgericht zugesprochenen Grundrechts zur Ausgrenzung führen kann, zumal die häufigsten Probleme auf diesem Gebiet nicht unter Schülern sondern mit Lehrern oder der Schulleitung auftauchen.

Das Ausgrenzungsargument der Verfasserin ist allerdings aus anderen Gründen nicht haltbar. Würde es irgendjemandem in den Sinn kommen, einen Interessenverband für beispielsweise Homosexuelle deswegen zu kritisieren, weil sie durch die Unterstützung der Homosexuellen deren Ausgrenzung in der Gesellschaft fördert? Vielmehr würde man dem Ausgrenzungsproblem in den Grund gehen und die Ursachen erforschen, begleitet von Aufklärungskampagnen, in denen für mehr Toleranz gegenüber der Minderheit geworben würde. Man würde neue Gesetze zum Schutz derer verabschieden, die aufgrund ihrer Homosexualität innerhalb der Gesellschaft und von der Rechtsordnung benachteiligt werden, damit sie die ihnen von Verfassung wegen eingeräumten Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auch leben können. Ein solcher Interessenverband würde selbst mit staatlichen Mitteln subventioniert werden.

Es ist nicht nur juristisch ein Schuss nach hinten sondern auch politisch betrachtet eine Kritik in die falsche Richtung. Bei Lichte gesehen handelt es sich um ein Recht, wie es die Verfasserin zutreffend feststellt, dass vom Bundesverwaltungsgericht zugesprochen wurde, die allerdings in der Mehrheitsgesellschaft nicht akzeptiert wird. An dieser Stelle wäre Kritik angebracht in Richtung des Staates, der dafür sorgen müsste, dass, wie bei anderen Beispielen bereits geschehen, Vorurteile, Aus- und Abgrenzung möglichst unterbleiben. Insbesondere in Schulen, wo die staatliche Einflussnahme auf Schulleitung und Lehrer besonders groß ist, dürfte der Abbau von Antipathien, sofern ernsthaft gewollt, keine Probleme bereiten. Auch eine mögliche Ausgrenzung unter Schülern könnte die Aufklärung im Klassenunterricht entgegenwirken.

Und wenn es der Verfasserin darum geht, Ausnahmen, Ausnahmen sein zu lassen, genügt ein islamischer Verband dem bereits damit, in dem es lediglich unterstützend tätig wird, sobald eine Schülerin von sich aus an den Verband aufsucht. Offensiv ausgelegte Kampagnen, alle muslimischen Mädchen vom Sportunterricht befreien zu wollen, ist in Deutschland von islamischen Verbänden weder bekannt geworden noch geplant, weswegen eine weitere Vertiefung sich erübrigt. Schließlich dürfte die Zahl der Schülerinnen mit Kopftuch im Vergleich zu denen, die keines tragen, tatsächlich die Ausnahme bilden. Grund zur Sorge besteht daher allenfalls dahingehend, dass viele muslimische Mädchen, aus Angst vor einer möglichen Ausgrenzung und somit zwangsweise, auf ihre verfassungsrechtlich garantierte Religionsfreiheit verzichten müssen.

2 Kommentare
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  1. Vielleicht müsste man auch erwähnen, dass der Beitrag von Frau Prof. Langenfeld wohl als Replik auf einen früheren Beitrag Prof. Poschers an gleicher Stelle gedacht ist. Prof. Poscher schrieb nämlich damals:
    Du musst nicht verfassungstreu sein

    MfG

    Engin

  2. […] Formale Treue zur Verfassung reicht nicht – Man muss sie auch leben dürfen bei JurBlog.de […]

 

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