Joachim Herrmann: 20.000 bis 30.000 Zwangsverheiratungen pro Jahr

30. Juli 2008 | Von | Kategorie: Leitartikel, Politik | 3 Kommentare |

In Bayern rücken die Landtagswahlen (28. September 2008) näher. Was liegt da näher, wieder einmal auf dem Rücken der Ausländer auf Stimmenfang zu gehen. Ein Patentrezept, das sich – insbesondere im Süden – bereits mehrfach bewährt hat. So macht sich der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auf den Weg und rattert sämtliche Themen der letzten Jahre eins nach dem anderen runter:

Joachim Herrmann CSU

Joachim Herrmann (CSU)

Er sehe Handlungsbedarf bei der Integration von Migranten in Deutschland. Hierbei gebe es deutliche Probleme. So liege bei Migranten sowohl die Arbeitslosigkeit als auch die Kriminalität höher als bei anderen Bürgern. Herrmann betonte, das Schlüsselthema sei dabei die Bildung. Wichtig sei vor allem die „Vermittlung von Sprachkompetenz“. Außerdem müsse die Rechts- und Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik anerkannt werden.

Zwar habe sich „der größte Teil“ der in Deutschland lebenden Muslime gut integriert – man beachte die Wortwahl: aus Migranten wurden Muslime! Es gebe aber „einen gewissen Anteil, der ein sehr fanatisches Verständnis des Koran hat“. Ein wesentlicher Punkt sei dabei das Frauenbild.

Der Innenminister warnte: „Wenn wir nach Schätzungen der Kriminalpolizei zwischen 20.000 und 30.000 Zwangsverheiratungen von jungen muslimischen Frauen in Deutschland pro Jahr haben, dann ist das ein Alarmzeichen. Und da dürfen wir nicht wegschauen und sagen: Das interessiert uns nicht, was die Muslime untereinander machen.“ Vielmehr müsse das Gleichberechtigungsgebot durchgesetzt werden.

Große Worte, große Zahlen. Nach Schätzungen der Kriminalpolizei, so Herrmann also. Weder eine Quelle, der man nachgehen könnte, noch Details darüber, wie diese äußerst grobe Schätzung zustande kommt. Eine Anfrage beim Bundeskriminalamt hat jedenfalls zu keinem Ergebnis geführt, ebenso eine Anfrage beim Landeskriminalamt in Bayern. Dort könne man sich diese Zahlen nicht erklären, zumal in kriminalpolizeilichen Statistik lediglich vier Fälle bekannt geworden seien, die man unter Zwangsverheiratung subsumieren könne. Das bayerische Innenministerium dagegen konnte oder wollte keine Auskunft geben. Der versprochene Rückruf blieb aus.

Die Schätzungen, auf die sich Herrmann beruft, überraschen auch, da selbst die Bundesregierung noch im Februar 2008 auf eine Anfrage der Linken mitgeteilt hatte, dass es bundesweit keine gesicherten Daten und Zahlen über Zwangsverheiratungen gibt (BT-Drucksache 16/8121). Schätzungen dagegen gibt es in der Tat viele. Die Spanne der Schätzungen zeigen aber, dass diese nicht besonders aussagekräftig sind.

Herrmanns Zahlen kursierten aber nicht selten in den Medien. Die Zahl wurde damals noch der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes zugeschrieben. Die Organisation selbst verweist hingegen auf fehlende repräsentative Daten, die eine solche Behauptung rechtfertigen würden: „Bisher gibt es keine repräsentativen Studien zu der Anzahl von Betroffenen in Deutschland. Verschiedene Umfragen bieten zwar Anhaltspunkte, geben aber keine deutschlandweit repräsentative Auskunft“.

Dass die Zahl der Zwangsverheiratungen unter Muslimen aber weder 20.000 oder 30.000 sein können, zeigt folgende einfache Berechnung. Im Jahre 2007 wurden in Deutschland insgesamt 368.329 Ehen geschlossen. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge leben in Deutschland ca. 3,2 bis 3,5 Millionen Muslime (ca. 4 % der Gesamtbevölkerung). Selbst wenn man 5 % der Eheschließungen aus dem Jahre 2007 Muslimen zuordnet, kommt man auf ca. 18.500 Eheschließungen. Addiert man dazu die erteilten Visa zur Familienzusammenführung aus muslimischen Ländern im Jahre 2007 hinzu (ca. 15.000), hat man ca. 33.500 Eheschließungen insgesamt. Demnach müssten ca. 60 bis 90 Prozent aller Eheschließungen von Muslimen unter Zwang erfolgt sein, damit die von Innenminister genannte Schätzung zutrifft.

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Wie verzweifelt muss die CSU in Bayern wohl sein, wenn sie mit solch abwegigen Argumenten versucht, ein Wahlkampf zu führen. Einerseits Integration predigen, andererseits Vorurteile schüren und nähren. Ein Muslim, der vom Arbeitgeber, vom Nachbarn oder Vermieter mit Argwohn betrachtet oder jede Kopftuchträgerin bemitleidet wird, wird den Weg in die Gesellschaft schwer finden. Umso ärgerlicher für ihn, wenn die Steine auf seinem Weg von einem Innenminister gelegt wurden, der vorgibt, sich für Integration einzusetzen.

3 Kommentare
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  1. Leider wird dieser Herr Herrmann erfolg haben.
    Zunächst wird es daran liegen , das er mit seinen Stammtischparolen in Bayern sehr viel anklang finden wird , und dann natürlich deshalb das sich die breite öffentlichkeit nicht genau mit den Zahlen auseinander setzt.
    Es ist doch viel einfacher sich mit Zahlen füttern zu lassen die in das allgemeinbild passen , als sich selber die Mühe zu machen .
    Man könnte doch die tatsächliche inkompetenz des jeweiligen Poltikers erkennen , und somit auch die Falschheit des allgemeinbildes feststellen.
    Wie ich in vielen anderen Disskusionen bereits gesagt hatte , muß sich das Bild über Türken und Moslems in Deutschland ändern, ansonsten haben solche leute immer wieder erfolg.

  2. Ein derart verzerrtes Bild fabrizieren wir – sehr oft – selbst, die Menschen mit einer muslimischen Identität. Das Ganze ist auch das Resultat unseres eigenen Versagens. Weil wir das selbst auch so zugelassen haben und noch immer zulassen werden, dass man so über uns spricht. In Stein gemeißelte, ich würde eher doch sagen, in Beton gegossene Meinungen, haben wir selbst mit begünstigt und gefördert.

    So lange es keine Brüderlichkeit, mit anderen Worten keine Solidarität unter uns gibt, solange müssen wir leider diese Vorurteile über uns ergehen lassen! Das schmerzt umso mehr, wenn man sich dieser Erkenntnis stellt.

    Die Einzigen, die eine gewisse Solidarität unter sich erleben, sind im Grunde genommen die, die dieses Vorurteil sehr oft bestimmen, und damit auch bestärken. Muslimische Kreise solidarisieren sich auf vielfältige Weise. Das ist auch gut so, nur vergessen sie dabei gerade, dass andere Menschen, mit dem gleichen Hintergrund, aber säkularer eingestellt, diese – unfreiwillig – mit zu spüren haben. Sie müssen das gleiche Stigma ertragen, was so selbst nicht einmal in den Herkunftsländern praktiziert wird. Denn vieles wird verklärt, gepresst, konserviert und wie ein Sirup heilig gesprochen.

    Und die säkularen Kräfte rächen sich dadurch, indem sie den westlichen Meinungsführer diese „Sektierer“ umso strenger anschwärzen. Da werden dann Einzelfälle auf ein großes Bild projiziert, dass so, gar nicht existiert. Das Ficht aber diese Personen nicht im Geringsten an. Und im Nebeneffekt profitieren sie daran recht gut!

    Statt also entstandene Vorurteile in der deutschen Bevölkerung abzubauen, bauen sie lieber einen „Türken“ auf der nur sehr selten anzutreffen ist! Ohne es ganz zu registrieren, graben sie aber sich selbst auch ein Grab.

  3. […] Herrmann (CSU, Bayerischer Inneminister) beispielweise sprach jüngst in einem Atemzug von abwegigen 30.000 Zwangsverheiratungen pro Jahr. Darf man sich dann noch wundern, wenn Abneigung und Intoleranz steigen gegenüber […]

 

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