Erste Zahlen zu Zwangsehen sollen Ende 2010 vorliegen

8. August 2008 | Von | Kategorie: Leitartikel, Politik | 3 Kommentare |

Die Bundesregierung hat eine Kleine Anfrage der Linksfraktion (16/9939) über die Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug beantwortet (16/10052). Wie auch in den Befragungen zuvor zum Thema, mach macht die Bundesregierung insgesamt keine gute Figur.

Maria Böhmer, Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration

Maria Böhmer, Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration

So wird beispielsweise aufgeführt, dass die Wortliste zur Sprachprüfung „Start Deutsch 1“ ca. 650 Wörter umfasse. Diese sollten passiv verstanden werden, wenn sie den Lernenden in Lese- oder Hörtexten begegnen. Etwa die Hälfte dieser Wörter sollte als produktiver Wortschatz, den die Prüfungsteilnehmer in den Prüfungsteilen „Schreiben“ und „Sprechen“ aktiv verwenden können, zur Verfügung stehen.

Nicht ohne Grund eine insgesamt merkwürdige und undurchsichtige Umschreibung der Anforderungen, um nicht zugeben zu müssen, dass man noch vor einem Jahr die Anforderungen für den Sprachtest heruntergespielt hat. Die Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer, sagte während des Pressekonferenzes zum Integrationsgipfel am 12. Juli 2007: „Deshalb ist es mir auch so wichtig, was den frühen Spracherwerb anbelangt, deutlich zu machen, dass es um einen ersten Spracherwerb von 200 bis 300 Worten geht.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte im Anschluss an Böhmer die Regelung ebenfalls: „Ich kann immer nur wieder auf den Aspekt der 200 bis 300 Worte hinweisen.“

Ob nun mit der Hälfte von 650 Wörtern für zwei von vier Prüfungsrelevanten Teilen reichen oder nicht, spielt keine Rolle. Der Test besteht aus vier Prüfungsteilen und dort reichen 200 bis 300 Wörter reichen definitiv nicht aus. Selbst bei einem Sprachschatz von 650 Wörtern dürfte man Probleme mit dem Test haben, da der Test nicht nur Hauptwörter, sondern auch Synonyme, Umgang mit doppelten Verneinungen, Umgangssprache oder grammatisch Kenntnisse voraussetzt. Die Sprachanforderungen des Goethe-Instituts Deutsch A1 sind seit jeher bekannt. Wieso die Damen Merkel und Böhmer den Betroffenen dennoch falsche Voraussetzungen genannt haben, wird ihr Geheimnis bleiben. Womöglich brauchte man die öffentliche und mediale Unterstützung für die äußerst umstrittene Neuregelung.

Kein Geheimnis und unmissverständlich formuliert sind dagegen die in § 93 AufenthG aufgelisteten Aufgaben der Bundesbeauftragen für Migration, Flüchtlinge und Integration. Unter anderem soll sie nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen von Ausländern entgegenwirken und ihren Belangen zu einer angemessenen Berücksichtigung verhelfen. Frau Böhmer hat in dem hier behandelten Kontext aber nicht nur ihre Aufgaben verfehlt, sie hat sie ins Gegenteil verkehrt.

Weiterhin wollen die Fragesteller wissen, wie sich die pauschale Äußerung der Staatsministerin Dr. Maria Böhmer gegenüber dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan begründen lässt, dass türkische Männer in der Bundesrepublik Deutschland ihren Ehefrauen verbieten würden, an Deutschkursen teilzunehmen (vgl. FAZ vom 24. November 2007), wenn die tatsächliche Teilnahme an Integrationskursen bei zur Teilnahme Verpflichteten türkischen Staatsangehörigen mit 94 Prozent im Herkunftsländervergleich am zweithöchsten und weitaus höher als im Durchschnitt ist.

Verlegen wird mitgeteilt, dass Einzelfälle in Gesprächen und Veranstaltungen von Betroffenen oder Mitarbeitern der Integrationskurse an die Staatsministerin herangetragen worden seien. Es habe sich jedoch nicht um Fälle gehandelt, in denen ein Tätigwerden der Staatsministerin, Dr. Maria Böhmer, erforderlich gewesen wäre. Gegenüber dem türkischen Ministerpräsidenten pauschalisierte Maria Böhmer diese Einzelfälle dennoch, um auf die angebliche Notwendigkeit des Spracherwerbs vor der Einreise hinzuweisen.

Des Weiteren geht es um eine Zusage Wolfgang Schäubles auf seiner Türkei- Reise Anfang Februar 2008. Er hatte versprochen, prüfen zu lassen, ob der Spracherwerb auch nach Einreise möglich sei. Die Bundesregierung teilt nun mit – wie es hier prognostiziert wurde, dass mit der türkischen Regierung Mitte Juni 2008 Gespräche stattgefunden haben. Bei dieser Gelegenheit sei der türkischen Seite erläutert worden, dass aus integrationspolitischen Erwägungen und aus rechtlichen Gründen an der bestehenden Regelung festzuhalten sei.

In Bezug auf Zwangsehen möchte die Linksfraktion wissen, wie hoch die Bundesregierung den Anteil von Zwangsehen beim Ehegattennachzug in die Bundesrepublik Deutschland einschätzt, im Allgemeinen und konkret in Bezug auf die Türkei, und wenn sie hierzu über keine Einschätzungen verfügen sollte, wie sie die Wirksamkeit der Neuregelung hinsichtlich des (angeblichen) Ziels der Bekämpfung von Zwangsverheiratungen evaluieren will.

Die Bundesregierung gehe aufgrund der bisher vorliegenden Untersuchungen davon aus, dass es sich bei dem Phänomen der Zwangsehen nicht lediglich um Einzelfälle handele. Dennoch sei eine verallgemeinerungsfähige Aussage zum Ausmaß dieses Phänomens nicht möglich. Deshalb habe das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gegenwärtig eine Studie zur näheren Ermittlung der Arten und des tatsächlichen Ausmaßes von Zwangsehen in Deutschland ausgeschrieben, die bis Ende des Jahres 2010 erstellt werden solle.

Dreieinhalb Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Ehegattennachzug sollen also erste Zahlen zum Phänomen Zwangsehen vorliegen. In der Regel werden Phänomene – so bezeichnet die Bundesregierung Zwangsehen – lange vor Inkrafttreten eines Gesetzes auf deren Ausmaß und Wahrheitsgehalt hin untersucht. Wird ein Problem festgestellt, wird es besprochen, beraten und nach Lösungen gesucht; die Gesetzgebung kommt zum Schluss. Diese Reihenfolge hat den Vorteil, dass man die Verhältnismäßigkeit einer Neuregelung abschätzen kann, um nicht wegen möglicher Einzelfälle, unverhältnismäßig viele Menschen mit in Leidenschaft zu ziehen. Dies gilt umso mehr, wenn die Neuregelung in grundrechtlich geschützte Bereiche eingreift. Verlässliche Daten und Zahlen über Problembereiche sind eine im Grunde unverzichtbare Voraussetzung, um überhaupt vernünftige Gespräche über ein mögliches Gesetz zu führen.

Wieso die Bundesregierung ausgehend von Einzelfällen und äußerst ungenauen Schätzungen dennoch vom üblichen Weg abgewichen ist und lange nach Inkrafttretung des Gesetzes eine Studie ausschreibt, lässt sich allenfalls erahnen.

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Eine Evaluation wird nach dreieinhalb Jahren insofern wenig Sinn machen, als man die Ist-Situation vor Inkrafttreten des Gesetzes nicht kennt. Wie auch immer die Zahlen ausfallen werden, wird es die Bundesregierung zu nutzen wissen: Fallen die Zahlen über Zwangsverheiratungen hoch aus, wird man keine Schwierigkeiten haben, das Gesetz zum Ehegattennachzug zu rechtfertigen, fallen sie dagegen niedrig aus, wird man auf den bahnbrechenden Erfolg des Gesetzes hinweisen.

3 Kommentare
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  1. @ E.S.
    Lassen Sie doch diesen Artikel auf irgendeinem TV Sender senden.
    So würden einige Menschen mehr diesen Quatsch mit der Zwangsehe eher verstehen und somit etwas mehr die Inkompetenz der Poltiker erkennen .

  2. […] der letzten Jahre auf dem Gebiet des Ausländerrechts für die Union schön zu reden oder ausländerfeindliche Wahlkämpfe von Parteikollegen zu […]

  3. […] nicht, weil es nicht einmal verlässliche Schätzungen über Zwangsverheiratungen gibt. Entsprechende Zahlen sollen erst 2010 vorliegen. Wie aber kann diese Behauptung aufgestellt werden, wenn man nicht messen kann, ob die Zahl der […]

 

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