Vorbildliche Integrationsarbeit in der Schule

1. September 2008 | Von | Kategorie: Gesellschaft, Leitartikel | 10 Kommentare |

Der mit 150.000 Euro dotierte Carl Bertelsmann-Preis 2008 geht in diesem Jahr nach Kanada. Ausgezeichnet wird die Schulbehörde von Toronto, der größten Stadt Kanadas mit der höchsten Einwanderung. Der Toronto District School Board erhält die Anerken­nung für sein vorbildliches Engagement für Integration und faire Bildungschancen. Im Durchschnitt gibt es in Kanada keinen signifikanten Unterschied mehr in der Lernleistung zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund.

Schulbuss in Toronto/Canada - Foto: http://www.flickr.com/photos/alextakesphotos/149198520/

Schulbuss in Toronto/Canada - Foto: http://www.flickr.com/photos/alextakesphotos/149198520/

Martin Spiewak, den wir aus früheren Recherchen kennen, hat sich dort näher umgesehen. Hier einige Auszüge:

… wer hat hierzulande von einer Schule gehört, die aktiv Lehrerinnen mit Kopftuch sucht, um muslimische Kinder besser zu integrieren? …

Jungen und Mädchen aus 27 Nationen lernen hier, mehr als die Hälfte von ihnen spricht zu Hause kein Englisch, Migrantenquote 100 Prozent – Statistiken wie in Berlin-Neukölln oder Duisburg-Marxloh. Doch etwas ist auffällig anders hier. Ein Herr mit einem Turban kommt den Gang entlang; zwei Frauen unterhalten sich, die eine trägt einen indischen Sari, die andere ein afrikanisches Kleid …

Seit Jahren werben Torontos Schulbehörden gezielt in den asiatischen, afrikanischen oder lateinamerikanischen Minderheiten um Pädagogen. „Kinder und Eltern sollen sich in den Schulen wohlfühlen“, sagt Lloyd McKell vom Toronto School Board. „Das fällt ihnen leichter, wenn sie Lehrern aus ihrer eigenen Kultur begegnen.“ Seine Behörde schaltet Anzeigen in spanisch- oder chinesischsprachigen Zeitungen, vergibt Stipendien und rekrutiert den multiethnischen Pädagogennachwuchs bereits in den Schulen …

Der Unterschied zu Deutschland, wo Schulleitungen und Amtsstuben migrantenfreie Zonen sind, könnte kaum größer sein. „Multikulti ist tot“, lautet der Refrain der Integrationsdebatte hierzulande. In Kanada singt man pathetisch „We celebrate diversity“ – „Wir feiern unsere Unterschiedlichkeit“. Während man in Deutschland Schulen auszeichnet, in denen es untersagt ist, auf dem Pausenhof Türkisch oder Arabisch zu reden, werden Kinder an der Firgrove School explizit aufgefordert, auch im Unterricht einmal Hindi oder Vietnamesisch zu sprechen, wenn es dem besseren Verständnis dient. Und es gibt Fragen, die man in Toronto gar nicht versteht.

Zum Beispiel die nach dem Kopftuch. Sibira Daredia trägt eins, und auch sonst nimmt die Muslimin ihren Glauben recht ernst. Männern etwa gibt sie nur ungern die Hand. Hat das Kopftuch ihre Anstellung als Lehrerin nicht erschwert? „Nein, im Gegenteil“, antwortet Daredia mit Verwunderung in der Stimme. „Es hat mir alle Türen geöffnet.“ Erst bekam sie einen der begehrten Ausbildungsplätze für Lehrer an der Toronto University, dann ihre Stelle hier in Firgrove. Fünf Jahre lang kümmerte sie sich um die schwächsten Schüler. Nun wird die indischstämmige Lehrerin eine Führungsposition an einer anderen Schule besetzen. Firgrove muss sich eine neue Lehrerin suchen – am liebsten wieder eine mit Kopftuch …

Aufklärungsunterricht ist eine Spezialdisziplin von Mr. Champsi. Eine weitere ist das muslimische Gebet. Jeden Freitag liest der Lehrer eine Stelle aus dem Koran vor und erklärt die Botschaft, „selbstverständlich auf dem Level der Kinder“. 15 Minuten dauert die kleine Zeremonie. Die Schule hat extra einen kleinen Raum dafür eingerichtet. „Religion is cool“, ist Champsis Botschaft für die Kids …

Jeder Schüler, der zwischen Klasse sieben und zehn ein Mindestniveau in Englisch und Mathematik verfehlt, erhält einen Lehrer als Tutor an die Seite. In kostenlosen Lese- und Rechencamps sollen die Schüler in den Ferien ihre Defizite abbauen. Schulleiter sind verpflichtet, die erfahrensten Lehrer in die schwierigsten Klassen zu schicken. „Wir können uns ein Scheitern nicht erlauben“, sagt Lloyd McKell, „von keiner einzigen Gruppe.“ Das wäre auch eine gute Botschaft für Deutschland.

In der Tat. Hierzulande beschäftigen sich Lehrer in Schulen lieber mit bildungsirrelevanten Themen: Kulturelle Werte und Hintergründe. Wer anders ist und es auch noch wagt zu zeigen, muss damit rechnenen, zurechtgewiesen zu werden. Der Schulfrieden könnte möglicherweise gestört werden, wenn man dies und jenes bedenkt und in Betracht zieht… Und Politiker sind eher besorgt über mögliche Stimmverluste als über verlorene Gruppen, wenn sie nicht in regelmäßigen Abständen Populismus betreiben.

Quellen: Bertelsmann Stiftung und Die Zeit – Weltmeister der Integration

10 Kommentare
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  1. So etwas zu lesen ist so ein schönes Gefühl. Wirklich vorbildlich, wenn es denn genau so abläuft wie in diesem Artikel und somit eine verdiente Auszeichnung.

    Aber warum funktioniert das nicht in Deutschland? Wieso sind viele Pädagogen so ignorant. Ich habe schon dieses Jahr von Schülern eines renomiertes Gynmasiums in Niedersachsen folgende zwei unglaubliche Statements von „Lehrern“ gehört :

    1. Ein Lehrer, der einen Lehrerpreis in seiner Rubrik erhalten hat bringt im Geschichtsunterricht folgenden Klopper :“Ja im Islam ist es so, dass die Terroristen sich eben in den heiligen Krieg begeben um dort umzukommen, damit sie im Paradies rumhur*n können.“ – Die ist einer 9. Klasse.

    2. In einer 10. Klasse des Werte und Norm Unterrichts fragt ein Lehrer seine Schüler „Nennt mir mal eine Kultur, Bereich oder Religion in der Frauen absolut nicht gleichberechtig sind?“ Eine Schülerin darauf :“Ja der Islam“ Unser Herr Lehrer :“Ja schön, wo noch?.“

    SO ist es in Deutschland schwer. Die Impulse werden bewusst oder unbewusst falsch gesetzt und man verschwendet die Energie eben lieber über den Bau einer Moschee, Kopftuchverbot, Kruzifix Dilemma etc.

    Es könnte doch so einfach funktionieren, aber hier in den nächsten 50 Jahren leider nicht.

    Frohes Ramadan 2008 an alle.

    -Osman Gülyesil

  2. @ Osman:

    Danke für die Beispiele. Zeigt sehr eindrucksvoll, woran es hakt in Deutschland.

  3. Hut ab!

    Im Gegensatz dazu geht leider hier zu Lande die Leitkulturdebatte vor Chancengleichheit für alle. Spätestens nach der aktuellen OECD Studie habe ich mehr Bereitschaft von der Politik erwartet. Stattdessen beschäftigt man sich mit dem Kopftuchverbot.

    Das deutsche Schulsytem benachteiligt immer noch Kinder mit Migrationshintegrund.

    frohes Ramadan

    fatih

  4. Irgendetwas richtiges muss an der Sache ja dran sein, wenn sowohl inländische als auch ausländische Schüler das selbe Niveau erreichen.
    Trotzdem muss ich sagen, dass ich ein Vertreter derjenigen Art bin, welche sich eine Erhaltung der eigenen (deutschen) Kultur in Deutschland wünscht und ich komme nicht aus Bayern 😉
    Ich finde, dass die Schule ein neutraler Ort sein sollte. Die Schüler, welche ja zum größten Teil Kinder sind, bekommen schon von Geburt an die Einflüsse ihrer Eltern. Daher sollte wenigstens die Schule als jener Ort gewart werden, wo Kinder sich eine eigene Meinung über alles bilden dürfen und wo sie sich für all jenes entscheiden dürfen, was sie von Hause aus „aufgedrückt bekommen“. Die Neutralität sollte wirklich gewahrt werden. Denn wie könnten heutzutage denn noch Freidenker entstehen?

  5. @ Guest
    Freidenken entstehen aber leider nicht in einem Pool von Vorurteilen.
    Wie Sie bereits Bayern angesprochen haben , werden dort in Schulklassen Kruzifixen aufgehangen .
    Das Deutschland ein Christliches land ist , ist allen bekannt aber dann noch von neutralität zu sprechen ist doch falsch , oder ?
    Die angeführten Beispiele über den Islam , dazu gesellen sich noch die Themen wie Frauenunterdrückung , Ehrenmord , Zwangsehe , Kurden unterdrückung und das Abschlachten von Armeniern , und dann soll noch jemand neutral auf einen Türken / Moslem zu gehen können ?
    Dann glaube ich ist die Theorie über denn Weihnachtsmann der einem Abend alle Kinder beschenkt realistischer .

  6. @ Guest:

    Gegen Ihre Argumente könnte man entgegensetzen, dass die Schule als Ort des Lernens geradezu ideal dafür ist, mit verschiedenen Kulturen und Menschen in Kontakt zu kommen. Schließlich leben Ausländer ja nicht auf dem Mond sondern in unmittelbarer Nähe in der Nachbarschaft. Nach der Schule wird das Kind ebenfalls in Kontakt kommen mit ihnen.

    Werden andere Kulturen und Menschen in der Schule aber auf eine Linie getrimmt, lernt das Kind nur eins: Wer oder was nicht auf der Linie ist, ist eben falsch oder verboten. Dieser Gedanke darf aber erst gar nicht entstehen, wenn man möchte, dass das Kind eben weltoffen erzogen wird.

  7. Glaube auch, dass ein frühes multikulturelles Zusammenleben nur von Vorteil ist. In unserer Zeit trifft man immer öfter, auch im Alltag auf andere Einstellungen und Gebräuche. Die Rolle der Religion in der Schule verstehe ich allerdings nicht. Mir war die Trennung des katholisch Unterricht vom evangelisch Unterricht schon suspekt. Überall wo Religion vorkommt ergibt sich Trennung und Probleme.

  8. Leider wird es immer verschiedene Meinungen über dieses Thema geben. Was richtig und falsch bei ihren und meinen Ausführungen ist, kann man nicht sagen. Der wer will schon bestimmen, was bei diesem Thema richtig oder falsch ist? (Keine Antwort nötig)

  9. […] um weltweit von den Besten zu lernen. Der diesjährige Preisträger kommt aus Kanada: der Toronto District School Board zeigt in seinen über 550 Schulen, dass faire Chancen für alle möglich sind. These […]

  10. in unserer Schule damals waren viele Inder, Afrikaner, Chinesen und Vietnamesen. Komischerweise gab es mit denen auch nie Probleme…. die meisten hatten einen guten Abschluss irgendwann, waren bestens integriert, beherrschten die Deutsche Sprache perfekt und hingen nicht nur in Grüppchen eigener Nationalität zusammen, wie es Araber gerne machen.

 

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