Migranten im Geiste des freiheitlich demokratischen Rechtsstaats

16. Juli 2007 | Von | Kategorie: Gesellschaft | 12 Kommentare |

Während die Mehrzahl der Medien über den Scherbenhaufen auf dem zweiten Integrationsgipfel in Berlin berichtet, hat die „Welt“ in Paderborn entdeckt, dass mehr Integration eigentlich nicht mehr möglich ist. Ein Türke sei als vermutlich erster Moslem Schützenkönig der Paderborner Bürgerschützen von 1831 geworden. Die „Main Spitze“ berichtet über: „Christen beim muslimischen Freitagsgebet“. Die wichtigste Erkenntnis liefert allerdings folgende Feststellung der FAZ vom 12.07.2007 (Seite 2):

Nie zuvor haben sich Ausländerorganisationen in einem derart kompromisslosen Ton und mit solcher juristischer Detailkenntnis an die Bundesregierung gewandt, um neue ausländerrechtliche Regelungen zu kritisieren.

Weder Merkels 400 unverbindliche Maßnahmen noch Phrasen wie „Meilenstein in der Geschichte der Integrationspolitik“ beeindrucken. Doch die Erkenntnis, dass „Migrantenorganisationen“ neuerdings und wenn es sein muss, kompromisslos und mit juristischer Detailkenntnis brillieren können, ist unabdingbar für eine erfolgreiche gemeinsame Zukunft.

Wer Integration damit gleichsetzt, dass Migranten auf der Straße nicht mehr als solche zu erkennen sind, irrt gewaltig. Integration ist mehr, als nur so zu sein wie andere und viel mehr, als nur Schwimm- und Sexualunterricht oder ein Stück Stoff. Was nützen aufgeklärte Schwimmweltmeisterinnen mit offener Haarpracht, wenn sie sich aufgrund vermehrter Ausgrenzungserfahrungen in ihre Wohnungen zurück ziehen? Geht es dann der Unverletzlichkeit der Wohnung an den Kragen?

Wir leben in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat und dem gilt es sich anzupassen. Die Freiheitlichkeit setzt nicht voraus, dass wir uns bunt oder dezent, viel oder weniger bekleidet auf die Straße begeben. Die Demokratie setzt nicht voraus, dass wir uns unterwürfig verhalten und der Rechtsstaat nicht, dass wir uns alles gefallen lassen. Im Gegenteil: Der freiheitlich demokratische Rechtsstaat verlangt zivilgesellschaftliches Engagement, die Teilhabe an der politischen Willensbildung sowie Rechtsbewusstsein. Das ist der Geist des freiheitlich demokratischen Rechtsstaats, das wesentliche des Integriertseins.

Und wenn erst die deutsche Staatsbürgerschaft einem die Stimme verleiht, die alle vier Jahre vergeben wird, sowie das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden, ist jede weitere Hürde im Einbürgerungsprozess auch eine Hürde für die wichtigste Art der demokratischen Willensbildung. Jeder Einbürgerungsantrag, jede Stimme, jeder Verein und jeder Prozess den ein Ausländer beantragt, vergibt, gründet und führt ist ein Zeichen der Integration. Einbürgerung ist die juristisch höchste Stufe der Integration und zugleich das juristische Gegenstück zur Assimilation. Und wenn wir in einem Rechtsstaat leben, so muss die juristische und gesellschaftliche Integration der Ausländer das vorrangig erklärte Ziel sein und nicht die optische.

Ausländerorganisationen und damit Migranten selbst sind, das ist die Erkenntnis, auf dem besten Wege zur Teilhabe an der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Einst als „ungebildete Gastarbeiter“ ohne jedwede Aussicht auf ein dauerhaftes Verbleiben in Deutschland, sind sie heute in der Lage, schlagfertige Argumente gegen integrationsfeindliche Vorhaben der Bundesregierung vorzubringen und diese mit juristischen Detailkenntnissen zu untermauern. Das ist der Geist eines demokratischen Rechtsstaats, der zunehmend auch von Migrantenverbänden auf höchster Ebene gelebt wird und den die Bundesregierung zu spüren bekommt.

Sie drängen sich in die Mitte der Gesellschaft. Sie rufen – zunehmend professionell – nach Anerkennung und Möglichkeiten zur Mitgestaltung der gemeinsamen Zukunft. Sie wollen wahrgenommen und gesehen werden, wie es die Moscheebauten zeigen. Das ist keine Invasion, sondern die freiwillige Aufgabe von so genannten Parallelgesellschaften, sofern sie überhaupt existieren. Das ist keine Abschottung, sondern der Wille, ein Teil des Ganzen zu sein mit der Sprache, mit der Kultur und sozialen Kontakten.

Auffällig ist, dass kein Migrantenverband Kritik über das „ob“ der Notwendigkeit der Erlangung von Sprachkenntnissen geäußert hat. Dennoch ist erstaunlich, dass auch die Kritik über das „wie“ als Integrationsunwilligkeit abgestempelt wird. Das ist nicht nur kontraproduktiv, sondern entspricht auch nicht dem Geiste einer demokratischen Debatte.

Stempelt man jede politische Kritik über Gesetzesverschärfungen, jeden Prozess, den eine Muslima wegen ihres Kopftuchs führt, jedes Diskussion über den Schwimm- und Sexualkundeunterricht – unabhängig davon ob gerechtfertigt oder nicht- als ein Zeichen der Integrationsunwilligkeit ab, sägt man am Stamm, auf dem man selbst steht, die freiheitlich demokratische Rechtsordnung, auf die wir zu Recht stolz sein können. Doch Deutschland sollte auch stolz auf seine Migranten sein, die mit freiheitlich demokratischen und vor allem rechtsstaatlichen Mitteln vorgehen, die sich auf die Religionsfreiheit, auf den Schutz der Ehe und auf den Gleichbehandlungsgrundsatz, kurz: sich auf die deutsche Verfassung stützen.

Sämtliche Debatten der letzten Jahre haben Muslime in Deutschland nicht vom Pfad der hiesigen Ordnung abgebracht. Stets wurde mit Mitteln protestiert, die in unserer Grundordnung als vorbildlich gelten. Dass es – nicht weit weg – auch anders zugehen kann, haben wir zwar registriert aber bis heute nicht ausreichend gewürdigt.

Ekrem Senol – Köln, 16.07.2007

12 Kommentare
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  1. Bravo, meine vollste Zustimmung.

    Gruesse

    LI

  2. „Dennoch ist erstaunlich, dass auch die Kritik über das „wie“ als Integrationsunwilligkeit abgestempelt wird.“

    Genau dass ist zur Zeit der eigentliche Knackpunkt. Das Recht auf demokratische Partizipation aller „Bürger“.

    Nein, natürlich sind Ausländer keine „Bürger“, mögen diese auch hier geboren und aufgewachsen sein. Eher Einwohner zweiter, nein sogar dritter Klasse. Denn ein EU-Bürger der vor sechs Monaten erst in eine deutsche Gemeinde zugezogen ist, erhält sogleich ein Mindestmaß an Partizipation; das Kommunalwahlrecht. Nicht aber der in demselben Ort geborene und aufgewachsene Ausländer aus einem Drittstaate. Möge dieser auch bereits in 2., 3. ……oder 11. Generation hier leben.

    Hier geborene und dauerhaft verbleibende Ausländer sind Teil dieser Gesellschaft und zwar langfristig, denn nicht wenige haben ein gesichertes Daueraufenthaltsrecht. Eine politische Kultur die im Bewußtsein dieses Umstandes vehement jegliche politische Beteiligungsrechte, einem so großem und dauerhaftem Teil der Gesellschaft versagt, auch auf unterster Ebene, kann Erfolge in der Integration sehr schwer erreichen. Politik muß von den Betroffenen „Bürgern“ mitgetragen und akzeptiert werden. Wundert man sich aber allen Ernstes, daß manche dieser dauerhaften „Bürger ohne Paß“, nicht mit einer Politik zufrieden sind, die sie nicht als gleichberechtigte Subjekte anerkennt, sondern als dauerhaften Zuschauer in Ihrem Land betrachtet?

    Und jetzt kommt ein Dachverband von Ausländern daher und maßt sich an, gegen ein Gesetzesprodukt dieser politischen Kultur zu protestieren, daß speziell ihre Klientel, den „Bürger“ dritter Klasse betrifft. Wie ungehörig.

    Politik, Gesetze und all ihre „Produkte“ müssen an den „Mann“ (oder die Frau) gebracht werden, ob es nun Steuergesetze, Sozialgesetze oder Ausländergesetze sind. Schaltet die Betroffenen mit angemessenem Teilhaberechten in diese politische Kultur mit ein, und die Produkte werden höchstwahrscheinlich mehr „Absatz“ finden.

  3. […] Senol kommentiert im Jurblog die Diskussionen um den letzten Integrationsgipfel mit Blick auf die Teilhabe der Migranten und […]

  4. Wenn’s so wär, wäre alles gut. Dass die Funktionäre den Rechtsstaat kennen und auszunutzen versuchen, ist jedoch kein Zeichen dafür, dass auch die einfache Muslimin in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung angekommen ist. Die Gleichsetzung von Ausländer-Organisationen und Ausländern ist ebenso ein Irrtum wie die Gleichsetzung von gewerkschaften und Arbeitern.

  5. @ Jörg Friedrich

    Folgern wir daraus, dass die einzelne Arbeitnehmerin ebenfalls nicht angekommen ist im Arbeits- und Wirtschaftsleben? Legen wir Prozesse oder Streiks der Gewerkschaften ebenfalls als Ausnutzung des Rechtsstaats aus?

    Ich empfehle Ihnen die Lektüre der Geschichte der Gewerkschaften! Besonders die frühen Jahre sollte Ihnen ein Blick wert sein.

  6. Ekrem,
    glauben Sie das was Sie schreiben eigentlich selbst? Das ist eine so fantastische Selbstbeweihräucherung anläßlich eines öffentlichen Fiaskos – da kann man nur staunen…
    Zum Beispiel:

    Auffällig ist, dass zwar kein Migrantenverband Kritik über das „ob“ der Notwendigkeit von Erlangung von Sprachkenntnissen geäußert hat. Dennoch ist erstaunlich, dass auch die Kritik über das „wie“ als Integrationsunwilligkeit abgestempelt wird.

    Wow, das „ob“ wird nicht kritisiert? Ist ja enorm:

    „Auch uns treffen besondere Aufgaben“, sagte Karahan. „Zuallererst müssen wir die Sprache des Landes, in dem wir leben, lernen. Nicht weil dies von irgendjemandem andauernd als Mutter aller Probleme benannt wird, sondern weil Sprachen zu den Zeichen Allah tealas gehören; damit wir die Botschaft des Herren in jeder Sprache verkünden, damit wir in dem Land in dem wir leben nicht blind und taub werden. Wir müssen diese Sprachen nicht nur soweit lernen, dass es uns heute über den Tag hilft, sondern so gut, dass es unserer Zukunft hilft. Sowie wir die Sprache lernen, müssen wir aber auch die Kultur des Landes, in dem wir leben, kennenlernen.“
    http://www.gazeten.com/rege-teilnahme-am-%E2%80%9Etag-der-bruderlichkeit-und-solidaritat%E2%80%9C-der-igmg/

    Bloß das „wie“ des Deutschlernens wird also kritisiert, eigentlich vor allem das „wann“. Wie sieht es also bei obigem glühenden Sprachlernbefürworter aus?

    Vorsitzender von Milli Görüs in Deutschland ist Yavuz Cellik Karahan. Karahan gibt selten Interviews. Er spricht so gut wie kein Deutsch, obwohl er schon 1983 nach Deutschland gekommen ist, damals als politischer Flüchtling des türkischen Militärregimes. Er habe nie die Zeit gefunden, einen Sprachkurs zu belegen, entschuldigt er sich.
    http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/575893/

    Alles klar. Der Mann ist ja auch erst seit 24 Jahren in Deutschland, hat eine islamistische Organisation mitaufgebaut, die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, hat sogar einen deutschen Namen (Yavuz Celik Karahan alias Osman „Döring“) den er nicht führt – da war für Deutschlernen nie Zeit, und offensichtlich auch kein Bedarf. Aber solange er Zeit für Klagen an deutschen Gerichten gefunden hat, ist mit der Integration ja alles in Ordnung:

    Jeder Einbürgerungsantrag, jede Stimme, jeder Verein und jeder Prozess den ein Ausländer beantragt, vergibt, gründet und führt ist ein Zeichen der Integration.
    Der freiheitlich demokratische Rechtsstaat verlangt zivilgesellschaftliches Engagement, die Teilhabe an der politischen Willensbildung sowie Rechtsbewusstsein. Das ist der Geist des freiheitlich demokratischen Rechtsstaats, das wesentliche des Integriertseins.
    (…) die Erkenntnis, dass „Migrantenorganisationen“ neuerdings und wenn es sein muss, kompromisslos und mit juristischer Detailkenntnis brillieren können, ist unabdingbar für eine erfolgreiche gemeinsame Zukunft.

    Also die Anzahl der Klagen als Gradmesser der Integration?? So einen S***atz würde ich nicht mal Juristen zutrauen… und übrigens, welche brillante juristische Detailkenntnis überhaupt?

    Fazit:
    Solange Türken sich prinzipiell bereit erklären, irgendwann, irgendwie deutsch zu lernen (falls sie in den nächsten 30-40 Jahren Zeit finden) und gegen demokratisch beschlossene Gesetze mit Klagen und Boykottdrohungen angehen, ist die Integration doch auf dem besten Weg.

    Das nenne ich mal niedrige Erwartungen.
    M

  7. @ M

    Was wollen sie denn mit diesem Kommentar „kommentieren“ oder mitteilen?

  8. @ Maria

    Ich stelle mir gerade die selbe Frage wie Ömer.

  9. Na, ich kommentiere den obigen Beitrag von E.S., der auch schon auf http://www.igmg.de erschienen ist.

    Ich finde ihn unglaublich.
    Ich kann ja verstehen, daß man der ganzen Gipfelgeschichte jetzt auch irgendetwas positives abgewinnen möchte.
    Aber was hier als Integrationserfolg verkauft werden soll, ist haarsträubend:

    Der Boykott war ein professioneller Ruf nach Anerkennung und Möglichkeiten zur Mitgestaltung? Nach (bspw. 24 Jahren) Lippenbekenntnis zum Deutschlernen sind 200 Wörter vor Einreise unzumutbar? Das Klagen gegen demokratisch beschlossene Gesetze soll ein Beleg von Integration sein?
    Und dann noch das hier:

    Sämtliche Debatten der letzten Jahre haben Muslime in Deutschland nicht vom Pfad der hiesigen Ordnung abgebracht. Stets wurde mit Mitteln protestiert, die in unserer Grundordnung als vorbildlich gelten. Dass es – nicht weit weg – auch anders zugehen kann, haben wir zwar registriert aber bis heute nicht ausreichend gewürdigt.

    Nämlich?

    Ich dachte wirklich, wir wären schon etwas weiter!

    M

  10. @ Maria

    Der Boykott war ein professioneller Ruf nach Anerkennung und Möglichkeiten zur Mitgestaltung?

    Das hat niemand behauptet, im Gegenteil. Noch mal lesen!

    Nach (bspw. 24 Jahren) Lippenbekenntnis zum Deutschlernen sind 200 Wörter vor Einreise unzumutbar?

    Auch das hat niemand behauptet! Es geht um Ungleichbehandlung, praktische Probleme für Betroffene und Schutz der Familie. Noch mal lesen!

    Das Klagen gegen demokratisch beschlossene Gesetze soll ein Beleg von Integration sein?

    Ja! Das ist der vorgesehene Weg in in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat.

    Ich dachte wirklich, wir wären schon etwas weiter!

    Sind wir auch. Nur äußern müsste man und vor allem die Bundesregierung das ab und an mal!

  11. @M

    gerade Ekrems Beitrag ist doch kein Ruf gegen das Sprachen lernen. Gerade ihm in dieser Hinsicht Lippenbekenntnisse vorzuwerfen ist doch grotesk, oder?

    Klar ist das Klagen gegen demokratisch beschlossene Gesetze auch ein Teil der Integration. Ich kann nicht nachvollziehen, wieso dies ein Problem darstellt, wenn es von Migrantenseite kommt. Seit wann ist es verwerflich, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen in Frage zu stellen. Wenn dies etwas Schlechtes ist, müsste man wohl erst die Verfassungsgerichte abschaffen.

    MfG

    Engin Karahan

  12. 4. muslimischer Blogkarneval online…

    In seinem Artikel „Migranten im Geiste des freiheitlich demokratischen Rechtsstaats“ stellt Ekrem eine in den Mainstreammedien wenig präsente Sichtweise auf den Boykott des zweiten Integrationsgipfels verschiedener Migrantenorganisationen dar…

 

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