BMFSFJ-Studie über Zwangsverheiratungen: Keine Zahlen, keine Fakten und nichts Neues

9. Oktober 2007 | Von | Kategorie: Gesellschaft | 7 Kommentare |

Unter „Gute Fragen und dreiste Antworten zu Zwangsehen“ hatte ich auf eine kleine Anfrage der Linken aufmerksam gemacht. Der Bundesregierung wurde ein Fragenkatalog zum Thema Zwangsehen vorgelegt (BT-Drucks. 16/5501). Darin wollten die Fragesteller u.a. wissen, welche Bemühungen die Bundesregierung seit dem 19. Januar 2006 unternommen habe, um ihren Mangel an statistischen Daten und wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Problematik der Zwangsverheiratung zu beseitigen?

Die Bundesregierung antwortete:

Um die Datenlage und die bisher fehlende wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas zu verbessern, hat die Bundesregierung eine Studie zu einer bundesweiten Evaluierung von Praxisarbeit im Bereich Zwangsverheiratung in Auftrag gegeben, die bis Ende Mai 2007 erstellt und voraussichtlich im Sommer 2007 veröffentlicht wird.

Unter der Überschrift „Zwangsverheiratung in Deutschland“ hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend den angekündigten Forschungsband zum Thema Zwangsverheiratung (Download der Studie) veröffentlicht. Das Sammelband habe das Ministerium im Oktober 2006 in Auftrag gegeben, um die oft sehr kontrovers geführte Diskussion um Zwangsverheiratungen zu versachlichen.

Lobenswert! Versachlichung der Debatte nach über einem Jahr voller Pauschalisierungen, Vorurteile und Populismus. Selbst das Aufenthaltsgesetz wurde unter dem Vorwand der Verhinderung von Zwangsehen verschärft, obwohl es der Bundesregierung in Wirklichkeit um weitere Zuzugsbeschränkungen ging. Nun soll, pardon kann, die Debatte ruhig sachlicher angegangen werden. Typisch!

Heute, nach über einem Jahr, betont Ministerin Ursula von der Leyen bei der Veröffentlichung der Studie, dass die Debatte um Zwangsverheiratungen nicht dazu führen darf, die in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu stigmatisieren.

„Denn selbstverständlich ist nicht jede junge Frau mit Migrationshintergrund in Deutschland von Zwangsverheiratung bedroht – die überwiegende Mehrheit der in Deutschland lebenden Migranten und Migrantinnen lehnt Zwangsverheiratung ausdrücklich ab“

bemerkt von der Leyen in ihrem Vorwort.

Diesen Worten nach zu beurteilen, meint mann, die Studie habe mit Sicherheit neue Erkenntnisse zu Tage gebracht. Schließlich hat sich das Familienministerium über die gesamte Zeit, in der die Debatte eben nicht sachlich geführt wurde, nicht gegen eine Pauschalisierung ausgesprochen. Im Gegenteil. Es wurden immer wieder Personen herangezogen, die zur Pauschalisierung maßgeblich beigetragen haben. Nicht verwunderlich ist es daher, dass diese Personen in der Studie mitschreiben durften.

Nun wollen wir aber mal der eingangs gestellten Frage auf den Grund gehen. Die Linke wollten u.a. wissen, was die Bundesregierung unternommen hat, um ihren Mangel an statistischen Daten zu beseitigen?

Die Frage lässt sich bereits nach kurzer Lektüre der Studie schnell beantworten: Nichts! Auf 384 Seiten gibt es keine neuen Informationen über das Ausmaß des Problems. Lediglich bereits bekannte, seit Monaten oder gar Jahren im Internet frei zugängliche Informationen wurden per copy & paste zusammengeführt, geschmückt und als Studie veröffentlicht.

Ein Erfahrungsbericht hier, einige Zahlen einzelner Frauenhäuser da und sonst nichts, jedenfalls nichts repräsentatives. Auch nichts, was eine Verschärfung des Aufenthaltsgesetzes im Familiennachzug rechtfertigt hätte, die zu Lasten von jährlich (zahlenmäßig erfassten) tausenden geht, die nicht zwangsverheiratet sind aber Dank Populismus nun wie zwangsverheiratete behandelt werden.

Erfreulich ist allein der Versuch, sich mit dem Thema objektiv und sachlich auseinander zu setzen. Wie gesagt: Versuch!

7 Kommentare
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  1. ich habe im Inhaltsverzeichnis die Namen Kelek und Ates gelesen und habe spontan und unwiederbringlich jeden Glauben an die Wissenschaftlichkeit der Studie verloren und mich deshalb nicht weiter vertieft.

  2. @ LI

    Ich glaube nicht, dass Sie etwas verpasst haben. Deren Standpunkte kennt man ja bereits danke der bisherigen sachlichen Debatte.

    Unglaublich, dass entgegen jeder Vernunft und vieler Wissenschaftler, die sich ja klar und deutlich gegen diese Damen geäußert haben, Ates und Kelek immer noch ernst genommen werden.

    Nun ja. Die sprechen nun mal nach dem Geschmack derer, die für die Gesetzesverschärfungen waren.

  3. Wie in dem Vorhergegangenen Artikel ist auch hier der Standpunkt das haupt Problem.
    Die Ausländer als Minderwertig , Zwangsverheiratet und somit abwertend zu betrachten ist des Deutschen lieblings blickwinkel.
    Aber wehe dem wenn irgengjemand vom dritten Reich redet.
    Da wehrt man sich gegen verallgemeinerungen.
    Wenn es an die eigene Haut geht verlangt man gerechtigtkeit aber bei anderen ist das nicht so relevant.
    Wieso kann ausser den Namen Kelek und Ates keiner bitte konkrette Zahlen zu diesem Thema erbringen.
    Es sind 2,6 Millionen Türken in Deutschland.
    Wieviele Zwangsehen sind in dieser Gruppe.
    Ich denke das das Ministerium bei ihren Forschungsarbeiten auf eine Zahl gekommen ist , jedoch diese so gering ist , das man sie lieber für sich behält.
    Man könnte doch kein hirngespinnst aufrecht erhalten wenn die Zahlen lächerlich sind.
    Weil , man macht sich dann selber lächerlich.

  4. Fakt ist jedenfalls, jeder der in Deutschland leben will, hat sich anzupassen. Ob ihm das schmeckt oder nicht.

  5. @ Randy
    Anpassen ist aber hier nicht das Problem.
    Hier werden Vorwürfe erhoben die nicht haltbar sind.
    Und mit falschen aussagen kann man sich nicht anpassen.
    Die Integration ist gelungen.
    Alleine das wir hier mit einander darüber reden ist der beste Beweis.
    Die erste Generation hat sich an nichts beteiligt , weil sie immer an das zurück gedacht haben.
    Dieses sehen wir 2 und 3 Generation , jedoch nicht so weil Deutschland mitlerweile auch unsere Heimat geworden ist.
    Jedoch mit pemanenten Vorwürfen , die zumal auch nicht haltbar sind , kann man sich schlecht wohlfühlen.
    Oder ?

  6. Hallo,
    ich finde, dass der Eingangsartikel die Lage, bzw. die Diskussion gut beschreibt. Auf jeden Fall ist die Haltung der Bundesregierung zu diesem Thema fraglich.
    Aber wenn ich mal auf das Inhaltsverzeichnis eingehen darf:
    Neben Kelek und Ates sind andere AutorInnen an diesem Band beteiligt, die durchaus wissenschaftlich schreiben. Kelek hat im übrigen in der Faz selbst den Band verrissen, weswegen es glaube ich schon wert ist, diesen Band mal näher zu betrachten.

    Gruß
    Sebahat

  7. Neu für mich ist, daß es Erfahrungen aus den Niederlanden zum Thema „Heiratsmigranten“ gibt:

    „Die niederländische Regierung hat am 5. März
    2004 beschlossen, dass Familienzusammenführungen aufgrund von Eheschließung nur genehmigt werden, wenn beide Partner mindestens das 21. Lebensjahr
    vollendet haben. … In den Niederlanden haben
    diese Regelungen zusammen mit einem Sprachtest dazu geführt, dass die Zahl der Heiratsmigranten innerhalb eines Jahres um ein Drittel abgenommen hat.“

    @Coskun

    Sie scheinen ein großes Problem mit dem Thema zu haben.
    Da Sie wissen, wie schwer es ist, darüber Zahlen zu erhalten, bestehen Sie auf diese.
    Glauben Sie wirklich, das, wenn man eine junge Frau im Kreise ihrer Familie fragt, ob sie zwangsverheiratet wurde, diese dann sagt: „Ja Herr Coskun, natürlich! Außerdem werde ich von Ehemann geschlagen!“
    Wem wollen Sie die Harmlosigkeit dieses Themas einreden – sich selber? Das scheint Ihnen bereits gelungen.

    „Im Jahr 2000 wurden laut der vom Auswärtigen Amt geführten Statistik 21.447 Personen aus der Türkei Visa zum Zwecke des Ehegatten- und Familiennachzugs erteilt. Nicht enthalten sind darin Aufenthaltsgenehmigungen, die erteilt wurden, weil eine Person bei einem Inlandsaufenthalt eine in Deutschland lebende Person geheiratet hat. Auch nicht erfasst wurden die Fälle, in denen junge Frauen oder Männer in den Ferien in die Türkei gebracht und dort verheiratet wurden, um sie dann in der Türkei zu lassen, wie ich es bei vielen meiner türkischen Freundinnen erlebt habe. Für 2002 und die folgenden Jahre wurden die Zahlen für türkische Migrantinnen und Migranten nicht gesondert ausgewiesen.“

    Die Nichterfassung von Daten fällt in die Regierungszeit von Rot-Grün. Beschweren Sie sich also z.B. bei Herrn Özdemir für fehlende Informationen.

    Gruß,
    Boo

 

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