Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug: Die Linke nehmen Böhmer und Schäuble in die Mangel

2. Mai 2008 | Von | Kategorie: Leitartikel, Politik | 2 Kommentare |

In einer kleinen Anfrage (16/8850) an die Bundesregierung nehmen DIE LINKE Innenminister Wolfgang Schäuble und Integrationsministerin Maria Böhmer in die Mangel. Die Fragesteller problematisieren unter anderem die Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug. Auch Aussagen in diesem Zusammenhang von Wolfgang Schäuble und Maria Böhmer werden noch einmal hinterfragt. Im folgenden eine kommentierte Auswahl einiger besonders interessanter Fragen, die auch hier im JurBlog thematisiert wurden:

2. Wie viele Visa zum Ehegattennachzug wurden im 1. Quartal des Jahres 2008 erteilt, ohne dass die Vorlage von Sprachnachweisen erforderlich war, weil

a) ein Ausnahmetatbestand nach § 30 AufenthG vorlag (welcher),

b) offenkundig Deutschkenntnisse vorlagen

(bitte jeweils die Gesamtzahl sowie den prozentualen Anteil an allen Erteilungen angeben, bitte auch nach den zehn herkunftsstärksten Ländern differenzieren, nach Geschlecht, und jeweils die Vergleichszahl des 4. Quartals 2007 nennen)?

Auf die Antwort der Bundesregierung diesbezüglich dürfen wir besonders gespannt sein. Noch im Februar 2008 (16/8175) hatte die Bundesregierung nämlich mitteilen müssen, dass im vierten Quartal 2007 die erteilen Visa der deutschen Auslandsvertretungen in der Türkei um fast 70 % zurückgegangen sind. Demgegenüber stiegen im selben Zeitraum die erteilten Visa für Ehegattennachzügler aus der Ukraine leicht.

Angesichts dieser Zahlen drängte sich die Frage auf, wie man sich diese unterschiedlichen Auswirkungen wohl erklärt. Schließlich müssen Ehegattennachzügler überall die gleichen Sprachkenntnisse nachweisen. Eine mögliche Erklärung war, dass an Ehegattennachzügler aus bestimmten Staaten, unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. Schließlich darf die Visastelle selbst eine Überprüfung vornehmen, ob Deutschkenntnisse offensichtlich vorhanden sind und ob ein Sprachtest erforderlich ist. Wann aber Deutschkenntnisse offensichtlich vorliegen, bleibt im Ermessen der Visastelle.

Leider beschränkt sich die Frage auf Visaerteilungen auf die zehn herkunftsstärksen Länder. Darunter wird die Ukraine wahrscheinlich nicht sein (Platz 13 – Stand Februar 2008). Den leichten Anstieg bei den selben Gesetzesverschärfungen der Visaerteilungen für Ehegattennachzügler aus der Ukraine werden wir uns daher auch nach der Antwort der Bundesregierung wahrscheinlich nicht erklären können. Dennoch erhoffe ich mir einige interessante Zahlen.

Die nächste Frage ist ebenfalls interessant, dürfte aber kaum Erkenntnisse hervorbringen, da die Bundesregierung sich höchstwahrscheinlich bequem herausreden wird, ohne konkret darauf einzugehen.

5. Wie bewertet die Bundesregierung den Rückgang der erteilten Visa für den Ehegattennachzug vom dritten auf das 4. Quartal 2007 (d. h. nach Inkrafttreten der Neuregelung zu Sprachanforderungen) um insgesamt ca. 40 Prozent und bezogen auf die Türkei um 67,5 Prozent, und wie bewertet sie die Entwicklung im 1. Quartal des Jahres 2008?

Einen schönen Seitenhieb enthalten die folgenden beiden Fragen:

5. b) Wenn die Zahlen der Visa zum Ehegattennachzug im 1. Quartal 2008 weiterhin deutlich unterhalb des Niveaus von vor der Gesetzesänderung liegen, wird die Bundesregierung dann eine Änderung der Gesetzeslage anstreben, weil die Behauptung z. B. von Staatsministerin Dr. Maria Böhmer, niemand würde durch die geforderten Sprachkenntnisse am Nachzug zum Ehepartner gehindert, sich als offenkundig falsch erwiesen hat (wenn nein, bitte begründen)?

c) Falls die Bundesergierung andere Erklärungsfaktoren für den starken Rückgang der erteilten Visa zum Ehegattennachzug als die Neuregelung zu Sprachnachweisen vor der Einreise sieht, welche konkret sind dies und wie begründet sie ihre Auffassung?

Selbstverständlich wird die Bundesregierung erklären, dass eine Änderung der Gesetzeslage nicht angestrebt ist. Schließlich dürfte genau das insgeheim angestrebte Ergebnis eingetreten sein. Erklärungsfaktoren wird man selbstverständlich nicht oder nicht konkret haben.

Die Fragen 6, 7, 8, 10, 11 und 12 behandeln Probleme im Zusammenhang mit mangelnden Kursangeboten in einigen Ländern oder die hohen Kosten für Deutschkurse, auf die hier nicht näher eingegangen wird.

Auf das Problem der hohen Sprachanforderungen gehen die Fragesteller in den Folgefragen ein:

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass für den Sprachtest „Standard Deutsch 1“ das Verstehen von 650 Wörtern erforderlich sei (vgl. EPD, 6. Februar 2008), bzw. worauf genau begründet sie gegebenenfalls hiervon abweichende Einschätzungen?

Dass die bisher von Maria Böhmer nicht selten vorgegebenen 200-300 Wörter nicht ausreichen, um einen Sprachtest zu bestehen, hatten wir in JurBlog nicht selten angesprochen. In dieser kleinen Anfrage hatten DIE LINKE aus dem JurBlog zitiert und die Bundesregierung um Stellungnahme gebeten. Ein Verantwortlicher für Prüfungsaufgaben beim Goethe-Institut in München gab auf meine Nachfrage bekannt, dass 300 Wörter in keinem Falle für den Sprachtest Stufe A 1 GER ausreichen und Politiker die Anforderungen bewusst herunterspielen. Die Bundesregierung beantwortete die Frage mit dem Hinweis, dass der Bundesregierung eine solche Äußerung aus dem Goethe-Institut nicht bekannt sei. Mal sehen, wie die Antwort diesmal ausfällt. Aber auch die Folgefragen dürften die Bundesregierung in Erklärungsnot bringen.

b) Ist die Angabe in dem EPD-Bericht vom 6. Februar 2008 zutreffend, wonach 20 bis 30 Prozent der Prüfungsteilnehmerinnen und -teilnehmer in der Türkei den Sprachtest „Standard Deutsch 1“ nicht bestehen (und es anfangs noch mehr gewesen seien), oder ist die Einschätzung des Leiters der Sprachkurse des Goethe-Instituts in Ankara Günter Neuhaus zutreffend, der von einer „Durchfallerquote von ca. 30 bis 40 Prozent“ spricht (vgl. sein schriftliches Statement anlässlich der Anhörung am 10. März 2008 im Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik), und über welche diesbezüglichen eigenen Angaben oder Erkenntnisse zur Bestehens- bzw. „Durchfallquote“ bei Sprachtests („Standard Deutsch 1“) der Goethe-Institute weltweit bzw. bezogen auf die Türkei verfügt die Bundesregierung?

c) Wie lang ist nach Auffassung der Bundesregierung die erforderliche durchschnittliche Sprachlernzeit zur Erlangung des für eine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland erforderlichen Niveaus, wenn angenommen und berücksichtigt wird, dass die „Durchfallerquote“ beim Sprachtest „Standard Deutsch 1“ ein Drittel beträgt und die Betroffenen entsprechend länger lernen müssen?

Die 13. Frage spricht ebenfalls ein Thema an, dass nach den mir liegenden Informationen irritiert:

13. Wie ist der Umstand, dass vielfach ein Deutsch-Zertifikat bereits bei Visumsantragstellung vorgelegt werden muss, weil andernfalls ein Antrag wegen Unvollständigkeit nicht entgegengenommen wird (vgl. iaf-Informationen, 3/2007), mit der Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 16/7288 (Frage 4b) vereinbar bzw. damit, dass Deutschkenntnisse im Prinzip auch anders nachgewiesen werden können, und was wird die Bundesregierung unternehmen, um eine Antragstellung und ein Visumsverfahren auch ohne Vorlage eines Sprachzertifikat zu ermöglichen?

In der Türkei beispielsweise werden, wie in der Frage festgestellt, Anträge ohne Deutsch-Zertifikat vom Goethe-Institut überhaupt nicht angenommen obwohl die Bundesregierung vorgibt, man könne den Nachweis auch anders erbringen. Nun ja, wir werden sehen, wie die Antwort ausfallen wird.

Nicht weniger interessant dürften die Zahlen – sofern überhaupt welche Vorliegen – zur folgenden Frage ausfallen:

15. a) um wie viele Einzelfälle in welchem Zeitraum handelte es sich, auf die sich die Äußerung von Staatsministerin Dr. Maria Böhmer gegenüber dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan bezog, dass türkische Männer in Deutschland ihren Ehefrauen verböten, an Deutschkursen teilzunehmen (vgl. FAZ vom 24. November 2007), die sie auf „Einzelfälle, die an den Arbeitsstab der Beauftragten … herangetragen wurden“ (vgl. Bundestagsdrucksache 16/8175, Antwort zu Frage 9) stützte?

b) Welche quantitativen Schlussfolgerungen sind aus den besagten Einzelfällen zulässig und wie verbreitet ist nach Auffassung der Beauftragten eine solche Praxis „türkischer Männer“?

c) Sind der Beauftragten solche Verbote auch von anderen als türkischen Männern bekannt, und wenn ja, welcher Staatsangehörigkeit?

Man erkennt – auch ohne eine Antwort -, auf welchem Niveau sich Äußerungen bewegen, wenn es darum geht, Gesetzesverschärfungen zu begründen. Das Niveau wird noch deutlicher, wenn man die Statistiken aus der nächsten Frage zu Grunde legt:

d) Wie ist es dann zu erklären, dass die Zahl der neuen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Integrationskursen im Vergleich zur Zahl der zur Teilnahme Verpflichteten bei türkischen Staatsangehörigen bedeutend höher ist als bei anderen Staatsangehörigen (im ersten Halbjahr 2007 fast doppelt so hoch; vgl. Anlage 2 auf Bundestagsdrucksache 16/7288 zu Frage 3), und wie hoch ist der Anteil Derjenigen, die ihrer Verpflichtung zur Integrationskursteilnahme noch nicht nachgekommen sind bei türkischen Staatsangehörigen im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen aktuell (zugleich Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 16/7288, Antwort zu Frage 3a, hinsichtlich der fehlenden Angaben zu absoluten und relativen Zahlen differenziert nach den zehn herkunftsstärksten Ländern)?

Wir dürfen gespannt auf die Antworten warten, die sicherlich sowohl verärgern als auch amüsieren werden.

In der letzten Frage wenden sich die Fragesteller schließlich auch an Wolfgang Schäuble:

16. Was hat die vom Bundesinnenminister auf seiner Türkei-Reise Anfang Februar 2008 zugesagte Prüfung des türkischen Vorschlags, deutsche Sprachkenntnisse in Deutschland erlernen zu können und bei Nichtbestehen eines Tests nach beispielsweise sechs Monaten wieder ausreisen zu müssen (vgl. FAZ und EPD vom 6. Februar 2008), ergeben, wie und durch wen wurde diese Prüfung vorgenommen und wie war gegebenenfalls die Reaktion der türkischen Seite auf das Ergebnis dieser Prüfung?

Am 13. Februar 2008 hatte ich über eben diese Äußerungen Wolfgang Schäulbes geschrieben. Meine Einschätzung von damals wird sich höchstwahrscheinlich auch in der Antwort wiederspiegeln. Warten wir es einfach mal ab.

Zum Schluss möchte ich noch einmal ein Thema ansprechen, dass mir in diesem Zusammenhang wichtig ist. Das Nachhacken und zur Sprach bringen von Themen, die interessant und wichtig für Migranten sind, war nicht immer selbstverständlich in der deutschen Politik. Es zeigt sich daher, wie wichtig es ist, dass im Bundestag auch Volksvertreter mit Migrationshintergrund sitzen, die nicht alles hinnehmen, was Politiker aus der „Mitte“ alles von sich geben. Es ist unerlässlich und wichtig, dass an richtiger Stelle nachgehakt wird, damit nicht Eindruck entsteht, man hätte Narrenfreiheit und könne sich alles erlauben. An dieser Stelle einen großen Dank und ein großer Lob an Sevim Dagdelen und alle anderen, die sie bei Ihrer Arbeit unterstützen. Viel Erfolg weiterhin!

Blog-Lesempfehlung: Ein Scheinriese – Integrationspolitik der großen Koalition

2 Kommentare
Hinterlasse einen Kommentar »

  1. @ Ekrem
    Hi Ekrem, also da es immer wieder offensichtlich ist, dass es speziell in der Türkei einen erhöhten Rüchgang an Ausreisevisums gibt, so habe ich das zumindest verstanden,
    warum wird dann nicht genau hier eingehackt ?
    Kann man hier nicht mit einer konkreten Anfechtung aufwarten ?
    Also das muss doch möglich sein.
    Das ist doch nicht nur ein aufhetzen des Volkes gegen Türken, sondern eine offensichtliche Verhinderung der Visumsvergabe. ???
    Ich spüre es förmlich, da gibt es einen Weg um einzugreifen.

    Alles Liebe und Gute
    Rose

  2. […] Bundesregierung hat die Fragen der Linken zu den Sprachvoraussetzungen beim Ehegattennachzug beantwortet (BT-Durcks. 16/9137). Dabei greift […]

 

WichtigeLinks

JurBlogEmpfehlungen

Blog'n'Roll