Das Gesetz der Fremde – Teil 9: Blick auf individuelle und kooperative Integration

30. September 2008 | Von | Kategorie: Gastbeiträge, Leitartikel | Keine Kommentare |

Was wir brauchen ist kein Dialog zwischen Muslimen und Sicherheitsbehörden. Was wir brauchen, ist die Möglichkeit der individuellen und korporativen Integration und Partizipation in der Gesellschaft.

Ich spreche von einem Verständnis, dass die Muslime als festen und bereichernden Bestandteil der Gesamtgesellschaft sieht, von einem Verständnis, dass die Muslime in der Mitte der Gesellschaft verortet.

Ein genereller Verdacht, macht dies jedoch unmöglich.

Rhein Triannale 2008 - Mustafa Yeneroglu, Necla Kelek, Heinrich Wefing, Tarik Al-Wazir und Thomas Kufen (v.l.n.r.) - Foto © Michael Kneffel

Rhein Triannale 2008 - Mustafa Yeneroglu, Necla Kelek, Heinrich Wefing, Tarik Al-Wazir und Thomas Kufen (v.l.n.r.) - Foto © Michael Kneffel

Solange das Thema „Integration“ als eine weitere Form der Terrorismusbekämpfung angesehen wird, kann diese nicht erfolgreich sein. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist eine aktuelle Publikation des Bundesverfassungsschutzamtes mit dem Titel „Integration als Terrorismusprävention“.

Wie schon erwähnt, Deutschland hat ein Grundgesetz, das an sich im Umgang mit Menschen unterschiedlicher Religion und Kultur vorbildlich ist. Eine Vorgabe dieses Grundgesetzes ist es, dass alle Religionsgemeinschaften gleichgestellt und gleichbehandelt werden. Auch wenn es im Umgang mit dem Islam und den Muslimen immer häufiger Probleme in der individuellen Ausübung des Glaubens gibt. Die größten Defizite gibt es in der Anerkennung von muslimischen Religionsgemeinschaften als vollwertige Partner und der damit einhergehenden korporativen Integration. Eine solche Entwicklung wird dazu führen, dass Normalität im Umgang mit dem Islam erreicht werden kann. Erst dann werden Islamische Religionsgemeinschaften als Partner sowohl staatlicher als auch nichtstaatlicher Institutionen akzeptiert werden und können bei der Bewältigung der vielen Herausforderungen zur Verantwortung gezogen werden.

Die Lösung derzeit aktueller und akuter Probleme wie dem islamischen Religionsunterricht, der Einrichtung von theologischen Lehrstühlen, der Einrichtung von Begräbnisfeldern, der Ausweisung von muslimischen Gebetsstätten in Bebauungsplänen, die Vertretung der Muslime in Landesrundfunkanstalten, im Ergebnis die umfassende Integration der Muslime setzt aufgrund der juristischen und strukturellen Gegebenheiten die korporative Integration voraus. Zwar scheint das Eingehen einer solchen Kooperation für die staatliche Seite viel schwieriger zu sein, als für die muslimische Seite. Es hilft jedoch nichts, diesen unumgänglichen Schritt mit immer neueren Modellprojekten und Behelfslösungen vor sich her zu schieben – wie es derzeit das eine oder andere Bundesland praktiziert.

Es kann nicht sein, dass auf der einen Seite den islamischen Religionsgemeinschaften sämtliche tatsächliche aber auch vermeintliche Defizite bzgl. der Integration der Muslime vorgehalten wird und sie sich dafür zu verantworten haben. Auf der anderen Seite jedoch, wenn es gerade um die Bewältigung dieser Probleme geht, ihnen „fehlendes Mandat“ vorgehalten wird. So kommen wir natürlich nicht weiter!

In diesem Sinne kann ich darauf verweisen, dass auf Seiten der muslimischen Gemeinden die Bereitschaft zu einer größeren Vernetzung und dem Eingehen einer korporativen Integrationsarbeit, bei der die muslimischen Gemeinden sowohl als wichtige Multiplikatoren als auch zuverlässige Akteure ihren Beitrag leisten können, da ist. Diese Offenheit erwarten wir auch von staatlichen Akteuren. Um die Menschen in den muslimischen Gemeinden besser und viel nachhaltiger erreichen zu können, müssen die Brücken, die durch die Gemeinden gebaut werden, viel besser genutzt werden. Hierzu bietet das religionsverfassungsrechtliche Modell sehr viele Kooperationsmöglichkeiten. Diese müssen angegangen werden. Islamische Gemeinden, die durch das Bieten der Möglichkeit, religiösen Bedürfnissen hier in Deutschland nachgehen zu können, viel dazu beigetragen haben, Fremdheitsgefühlen entgegenzuwirken, sind beste Plattformen, um religiöse Menschen, die man andernorts vielleicht weniger erreicht, in den Moscheen zu erreichen. Dies setzt voraus, dass die Moscheen effektiver in zivilgesellschaftliche gemeinnützige Strukturen eingebunden werden. Die in den Moscheen angebotenen zahlreiche Integrationsangebote wie z.B. Sprachkurse, Hausaufgaben- und Nachhilfekurse werden ohne öffentliche Förderung geleistet. Hier könnte man ansetzen und Unterstützung anbieten. Die Jugendarbeit in den Moscheen, die einen Rahmen bietet, in dem die Jugendlichen ihre Freizeit sinnvoll gestalten können, könnten durch eine verbesserte Kooperation mit verschiedenen anderen NGOs, die sich auf Bildung, aber auch Drogen- und Kriminalitätsprävention spezialisiert haben, verstärkt werden.

Die Gemeinden bemühen sich auch um die Sensibilisierung von Eltern für die schulischen Bedürfnisse ihrer Kinder und die Anregung zur Mitarbeit an schulischen Gremien und der Teilnahme an Elternabenden und schulischen Veranstaltungen. Eine Kooperation mit örtlichen Schulen, die es in den meissten Fällen nicht gibt, weil man hier eine Islamisierungsfalle meint entdeckt zu haben, könnte neue Wege aufzeigen, um die Bildungsmisere unter Migrantenkindern mal anders anzugehen. NGOs, die sich Sorgen um die Gleichberechtigung von Frauen und deren selbstbestimmtes Leben machen, könnten anstelle des öffentlichkeitswirksamen erhobenen Zeigefingers einen Einblick gewinnen und bei dem Bemühen, jungen Mädchen zur Wahrnehmung von Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten anzuregen, mithelfen. Sie könnten dabei eine Rolle spielen, dass gut ausgebildete, teilweise studierte junge Frauen mit ihrem Glauben eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommen – auch im behördlichen Bereich.

All diese Möglichkeiten zeigen, dass Taten anstelle großer Sprüche in der Öffentlichkeit viel mehr bewirken können und vor allem, dass es Wunsch der islamischen Gemeinden ist, eine größere Vernetzung mit anderen gesellschaftlichen Akteuren aufzubauen. Das setzt natürlich voraus, dass die Moscheegemeinden nicht per se als Integrationshindernis angesehen werden und entgegen der bisherigen Praxis für staatliche Stellen als Kooperationspartner in Frage kommen.

All diese bisher in äußerst dürftigem Maße gegangenen Wege zeigen ganz klar: Noch fehlt in Deutschland eine nachhaltige Politik im Umgang mit dem Islam. Initiativen wie die Islamkonferenz zielen leider noch nicht auf die verstärkte Partizipation von muslimischen Religionsgemeinschaften in der Gesellschaft ab. Dazu treten sie zu sehr einseitig mit einem Forderungskatalog auf, ohne die Bereitschaft zu zeigen, die eigene, verfassungsrechtliche, aber auch politische Verantwortung wahrzunehmen.

Es ist aber unerlässlich, dass die Politik sich im Umgang mit Muslimen zur Werteordnung des Grundgesetzes bekennt und sich im Klaren darüber ist, dass der gesamtgesellschaftliche Konsens ausschließlich ein Verfassungskonsens sein kann. Die Werteordnung des Grundgesetzes bzw. der Verfassungskonsens bedingt das Bekenntnis zum Pluralismus. Dazu gehört, dass die Vielfalt und Vielschichtigkeit unserer Gesellschaft akzeptiert, den Muslimen auf Augenhöhe begegnet und die volle Gleichberechtigung in der Praxis garantiert wird.

Uns allen ist bewusst, dass der Pluralismus manschmal anstrengend ist, er erwartet von uns allen eine gewisse Lernbereitschaft, Konsensfähigkeit und besonders auch den Mut, Pluralität im Alltag umzusetzen.

Ich Danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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