Das Gesetz der Fremde – Teil 2: Keine Tabuisierung der Diskussion

19. September 2008 | Von | Kategorie: Gastbeiträge, Leitartikel | Keine Kommentare |

Was führt uns nun zu dieser Fragestellung, oder vielleicht besser, was lässt uns Zuhörern und Referenten solch eine Fragestellung als nachvollziehbar erscheinen? Ist es das Fremdheitsempfinden der Muslime, die sie der Merheitsgesellschaft gegenüber aufbringen? Resultiert diese angenommene Fremdheit der Kategorie des Muslimseins oder entspringt es dem Grad ihrer Religiösität? Sicherlich dürfen wir bei der Beantwortung all dieser Fragen nicht verallgemeinern. Auch dürfen wir die Identität als Muslim nicht als einziges Identitätsmerkmal sehen. Wir müssen also differenzieren, Identitätsmerkmale des Menschen in seiner ganzen Komplexität vor Augen haben. Wir werden dann erkennen, wie farbenfroh, wie unterschiedlich, ja sogar teilweise wie widersprüchlich sich uns das Bild der Muslime darstellt.

RhurTriannale 2008 - Tarik Al-Wazir, Mustafa Yeneroglu, Heinrich Wefing, Necla Kelek und Thomas Kufen (v.l.n.r.) - © Michael Kneffel

RhurTriannale 2008 - Tarik Al-Wazir, Mustafa Yeneroglu, Heinrich Wefing, Necla Kelek und Thomas Kufen (v.l.n.r.) - © Michael Kneffel

Die Muslime bilden also keine homogene Kategorie. Studien belegen diese Komplexität, lassen aber auch erkennen, dass sich viele Muslime in bestimmten Bezügen fremd, bzw. nicht angenommen oder selber ablehnend empfinden. Aber trifft das nicht genauso auch auf die Mehrheitsgesellschaft zu? Ist es nicht auch oft so, dass die Mehrheitsgesellschaft SIE im Allgemeinen als fremd empfindet ja sogar zu Fremden macht?

Im Ergebnis habe ich den Eindruck, dass die gefühlte Fremdheit in den letzten Jahren doch größer geworden ist. Aber ist dies eine Fremdheit im Verhältnis zum Grundgesetz?

Ich denke, dass vor allem Teile der Politik ein Stück weit diese angenommene Fremdheit zum Grundgesetz konstruieren.

Wie sonst soll zum Beispiel die wieder erst vor kurzem gefallene Äußerung Erwin Hubers verstanden werden, der auf einer Wahlkampfveranstaltung versicherte, mit ihm werde es keine islamischen Feiertage in Bayern geben. Nun, wer hat denn die Einführung von islamischen Feiertagen gefordert?

Oder, wieso sieht sich der bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein genötigt, darauf hinzuweisen, dass Moscheen keinen Machtanspruch verkörpern dürften, sondern nur religiöse Stätten sein sollten? Was hat ihn zu dieser Frage bewogen?

Warum sieht zum Beispiel das bayerische Kopftuchgesetz eine religiöse Praxis des Islams als „mit den verfassungsrechtlichen Grundwerten und Bildungszielen einschließlich den christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerten nicht vereinbar“ an, wie es in der Gesetzesbegründung heisst? Man hätte es auch abkürzen und sagen können: „Wir wollen es nicht, weil es uns fremd ist“.

Ich halte diese Konstruktion des „Fremden“, des nicht „Dazugehörenden“ im Hinblick auf den gesellschaftlichen Frieden für äußerst gefährlich. Solche Politiker, die sich immer wieder dieser Stereotypen bedienen, wissen zu genau, dass es in Teilen der Bevölkerung eine tief verankerte Angst gegenüber dem Islam und den Muslimen gibt. Nicht erst seit der Arbeitseinwanderung ab den 60er Jahren, sondern schon seit dem 9. Jahrhundert. Ich nenne nur das Stichwort „Sarazenen“. Die Popularisierung dieser Ängste durch demokratische Parteien ist deshalb sehr bedenklich, weil dies nur den Rechtspopulismus stärkt, der in dem neuen Gewand der „Beschützer Europas vor dem Islam“ viel breitere Bevölkerungsschichten ansprechen kann, als sie es jemals konnte.

Gewiss soll es in dieser Debatte um die Muslime keine Tabus geben. Wir müssen offen miteinander alle Probleme ansprechen, die Schwierigkeiten offen legen, nach Lösungsansätzen suchen. Selbstverständlich können Ehrenmorde und Zwangsverheiratungen Teil von sachlich geführten Diskussionen sein. Aber auch Ausgrenzungserfahrungen müssen in die Diskussion einfließen, Diskriminierungen, religiöse und kulturelle Intoleranz, denen sich Menschen mit Migrationshintergrund immer wieder ausgesetzt sehen.

Offen muss die Diskussion sein, aber dennoch besonnen geführt werden. Besonnen dahingehend, dass sie nicht verallgemeinert, nicht jede Problematik im Kontext von Muslimen religiös verortet sieht, Einzelschicksale zu Massenphänomenen hochstilisiert, bestehende Stereotype unterfüttert, ja gar neue schafft.

Sie darf nicht kulturalisieren, also alle Problemquellen, ob es nun das soziale Gleichgewicht, bestehende Bildungsdefizite, Schichtenprobleme oder auch die Möglichkeit, wirklich mal nur Einzelfall zu sein, ausblendet und allem die Marke „minderwertige Kultur“ aufprägt. Immer öfter begegnen wir einem Verständnis, der es vorzieht, alles negativ Empfundene in der als fremd und bedrohlich wahrgenommener Kultur zu verorten.

Der größte Fehler, der dabei gemacht wird, ist allerdings, dass wir vergessen, dass es hier nicht um einen Kultur als Block geht, sondern um Menschen. Ein jeder von ihnen augestattet mit einer eigenen Geschichte, einer eigenen Sozialisation, einer einzigartigen Individualität.

Diese Vielfalt wird in diesen Debatten leider immer wieder ausgeblendet. Dabei ist diese Vielfalt gerade ein Zeichen für eine Normalität.

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